Amoklauf in München

  • Wir wissen inzwischen ein wenig mehr über ihn, aber meine Startfrage, mit der die Diskusion ja angefangen hat, die wurde noch nicht beantwortet:
    warum schreibts die eine Zeitung so und die andere so? Man beachte bei der Frage übrigens auch, das auch die Zeitungen damals noch nicht alles wussten, was wir heute wissen. Es geht bei der Frage nicht um den Täter und wenn es irgendwo begründet worden wäre mit dem Argument "Er hat sich sein Leben lang David genannt, alle seine Freunde nannten ihn so, so wurde er in der Schule angesprochen.", dann hätte mir das ausgereicht. Dann hätte sich aber auch die andere Seite erklären müssen, entweder wegen schlechter Recherche (Zeit) oder Einflussnahme (die AfD-nahen).

    Natürlich ist sein Name egal wenn man die Tat beurteilt, das sagt der Artikel ja auch. Der befasst sich aber überhaupt nicht mit unserem Diskusionsthema und der Frage ob da Zeitungen zu einem frühen Zeitpunkt Einfluss nehmen wollten auf die Wahrnehmung?

    -----------------
    It is time for us to do what we have been doing and that time is every day.

  • This!

    Ein weiteres Lob für die Bevormundung - herrlich! Ich finde es immer gut, wenn man mir vorschreibt, was ich wissen darf und was
    nicht. So muss Demokratie funktionieren! [Sarkasmus off]

    Da weist die Autorin darauf hin, dass die Herkunft eines Täters nur genannt werden darf, wenn ein begründbarer Zusammenhang
    besteht. Das klingt erstmal super und der Zusammenhang besteht für die Autorin nicht. Vielleicht liegt sie richtig.

    Vielleicht aber auch nicht. Die Vergangenheit hat leider oft genug gezeigt, dass nicht nur Journalisten Verbindungen übersehen.
    Man denke da nur an die "Döner-Morde", wo die Journalisten einen Zusammenhang sahen, den es gar nicht gab. Trotzdem wird
    den Journalisten eine Macht darüber gegeben, was ich wissen darf und was nicht. Wer hat das eigentlich demokratisch legitimiert?

    Die Absurdität der Argumentation der Autorin zeigt sich da, wo sie mit Recht feststellt: "Wer die Antwort wusste, bevor
    irgendetwas bekannt war, der ließ sich von Fakten nicht mehr beirren." So ähnlich habe ich ja auch argumentiert. Die Scharfmacher
    brauchen die Fakten gar nicht. Die falschen Behauptungen und die Gerüchte entstehen offensichtlich auch so.

    Wie wurden sie nun widerlegt? Indem die Herkunft genannt wurde, obwohl sie doch keine Rolle für die Tat spielte. Die Autorin
    übersieht schlicht, dass Fakten eben auch den Wind aus den Segeln der Kapitäne nehmen kann, die auf der Gerüchtewelle schippern.

    Dann stellt sie wieder mit Recht fest: „Dass dieser Ali womöglich aus rechtsextremen Motiven gehandelt haben könnte, obwohl er
    ausländische Eltern hat, das lag ebenso jenseits ihrer Vorstellung“. Diese falsche Vorstellung hat sich nun geändert. Warum?
    Weil die Herkunft des Täters genannt wurde. Eine falsche Vorstellung wurde widerlegt, der Bürger aufgeklärt. Eigentlich super, oder?
    Wenn es nach der Autorin gegangen wäre, wäre das aber nicht passiert.

    "I guess football has always been a barometer of the times: the takeover of Manchester United was a perfect manifestation of the unacceptable face of modern capitalism." - Jarvis Cocker.

    Einmal editiert, zuletzt von Derek Brown (30. Juli 2016 um 10:27)

  • Wir wissen inzwischen ein wenig mehr über ihn,

    Und das bedeutet? Richtig, dass allerorten ganz viel substanzloser Bullshit geschrieben wurde. Und nun kann man sich fragen, ob das nötig war oder gar befeuert wurde. Auf jeden Fall dürften wir uns einig sein, dass es das alles nicht gebraucht hätte.

    Zitat

    warum schreibts die eine Zeitung so und die andere so? Man beachte bei der Frage übrigens auch, das auch die Zeitungen damals noch nicht alles wussten, was wir heute wissen. Es geht bei der Frage nicht um den Täter und wenn es irgendwo begründet worden wäre mit dem Argument "Er hat sich sein Leben lang David genannt, alle seine Freunde nannten ihn so, so wurde er in der Schule angesprochen.", dann hätte mir das ausgereicht.

    Erneut: Was machts fürn Unterschied? Manche Zeitungen haben noch Joseph Fischer geschrieben, während andere schon längst beim Joschka waren. Es ist doch eine Illusion, dass es hier irgendwem wirklich um die Nennung des korrekten Namens geht. Nein, es geht um die Herstellung einer kausalen Verbindung vom Namen des Täters zur Tat. Auch da können wir sicherlich alle übereinstimmen, dass das Schwachsinn ist.

    Zitat

    Natürlich ist sein Name egal wenn man die Tat beurteilt, das sagt der Artikel ja auch. Der befasst sich aber überhaupt nicht mit unserem Diskusionsthema und der Frage ob da Zeitungen zu einem frühen Zeitpunkt Einfluss nehmen wollten auf die Wahrnehmung?

    Es gibt keinen einzigen medialen (oder sonstigen) Satz, der nicht sozial imprägniert ist und daher in irgendeiner - oft, aber nicht immer: impliziter und unbewusster - Weise Einfluss auf unsere Wahrnehmung hat. Von dem Gedanken, dass es auch nur einen objektiven Buchstaben gibt, sollten wir uns schnellstmöglich verabschieden.

    Ein weiteres Lob für die Bevormundung - herrlich! Ich finde es immer gut, wenn man mir vorschreibt, was ich wissen darf und wasnicht. So muss Demokratie funktionieren! [Sarkasmus off]

    Den hier immer wiederkehrenden Punkt von der Bevormundung finde ich doch etwas unreflektiert, da er offenbar nur für bestimmte Kriterien gilt, die jedoch ähnlich aussagelos wie andere sind. Werde ich bevormundet, weil nicht jedes Detail des Täters durch die Medien geistert? Nö. Meines Wissens wurde seine Schuhgröße nirgends erwähnt und die Augenfarbe nicht weiter thematisiert. Nun könnte ich schreien "Lügenpresse! Die verheimlichen seine Schuhgröße mal wieder, ist ja typisch!" Ergibt das Sinn? Ebenfalls nö, weils völlig irrelevant in Bezug auf die Tat ist. Genau wie seine Herkunft oder ähnliches. Das Ganze sagt ein wenig was über diejenigen aus, die hier "Bevormundung" wittern: nämlich welche Kriterien sie insgeheim eben doch für ziemlich relevant halten ;)
    Die Autorin fragt diesbezüglich nicht zu Unrecht: Warum muss als erstes irgendeine Herkunft ausgegraben werden? Ich bin mir recht sicher, dass entsprechende Diskussionen nicht in dem Maße aufgekommen wären, wenn bspw. Robert Steinhäuser als zweiten Vornamen Sepp (würde tendenziell auf süddeutsche Herkunft schließen) oder Peer (würde tendenziell auf norddeutsche Herkunft schließen) gehabt hätte. Vielleicht wären diese Namen erwähnt worden, vielleicht auch nicht. Irgendein konstruierter Bezug wäre sicherlich nicht hergestellt worden.

    Zitat

    Da weist die Autorin darauf hin, dass die Herkunft eines Täters nur genannt werden darf, wenn ein begründbarer Zusammenhang
    besteht. Das klingt erstmal super und der Zusammenhang besteht für die Autorin nicht. Vielleicht liegt sie richtig.

    Dass die Herkunft des Täters laut Pressekodex zunächst einmal - es sei denn, es besteht ein Sachbezug zum Verständnis der Tat - nicht erwähnt wird, ist eine Errungenschaft, die auf schlimmen historischen Erfahrungen fußt und die wir daher alle schätzen sollten. Das hat - eben auch historisch - mit Bevormundung wenig zu tun, sondern mit der Rolle der Medien als Gatekeeper, als Agenda-Setter und nicht zuletzt ganz einfach mit der Gefahr der Tendenziösität.
    Wenig überraschend ist diese Abstellung auf die Herkunft ja auch sozial gefärbt. Ich lese selten in solchen Zusammenhängen von einem hamburgstämmigen Bayern ;) Was soll ein Deutsch-Iraner sein? Und was aussagen? Woher diese zwanghafte Kategorisierung? Da sind viele andere Länder einfach eine ganze Ecke weiter als Deutschland.

    Zitat

    Vielleicht aber auch nicht. Die Vergangenheit hat leider oft genug gezeigt, dass nicht nur Journalisten Verbindungen übersehen.
    Man denke da nur an die "Döner-Morde", wo die Journalisten einen Zusammenhang sahen, den es gar nicht gab. Trotzdem wird
    den Journalisten eine Macht darüber gegeben, was ich wissen darf und was nicht. Wer hat das eigentlich demokratisch legitimiert?

    Kein sehr gutes Beispiel. Hier waren die Angehörigen ja schon sehr früh von einer (rechtsextremen) Terrorserie überzeugt, fanden aber nirgends Gehör (weder im Großteil der Medien noch in der Politik und Justiz). In diesem Fall wäre eher zu diskutieren, ob die in Deutschland grundsätzlich beinahe manische Abstellung auf die Herkunft (und damit auch immer verbunden: askriptiver Kulturkreis) nicht sogar dazu geführt hat, dass die offensichtlichen Zusammenhänge übersehen wurden bzw. verschleiert waren (von den absichtlichen Vertuschungen einmal abgesehen). Aber das führt jetzt zu weit...

    Zitat

    Die Absurdität der Argumentation der Autorin zeigt sich da, wo sie mit Recht feststellt: "Wer die Antwort wusste, bevor
    irgendetwas bekannt war, der ließ sich von Fakten nicht mehr beirren." So ähnlich habe ich ja auch argumentiert. Die Scharfmacher
    brauchen die Fakten gar nicht. Die falschen Behauptungen und die Gerüchte entstehen offensichtlich auch so.

    Richtig, aber woran liegt das? Es existiert ja keine anthropologische Konstante, die den Menschen Herkunft als relevante(st)e Kategorie vorschreibt, von Genetik müssen wir hier (hoffentlich) gar nicht reden. Die Scharfmacher entstehen zwangsläufig aus einem Nährboden, den die Gesellschaft bereitstellt. Es ist Aufgabe der demokratischen Kräfte, diesen Nährboden so weit wie möglich auszutrocknen. Und das geht sicherlich nicht mit vorauseilendem Gehorsam, indem man als allererstes diesen Menschen deren entscheidende Kategorie (die Herkunft) in prominenter Stellung präsentiert, um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Somit stabilisiert sich die Herkunft in öffentlichen Diskursen als relevante Kategorie, die sie eben nicht grundsätzlich ist. Hier werden im Namen der angeblichen Nicht-Bevormundung neue Grenzen und Mauern errichtet, die in keinster Weise nötig oder zweckhaft sind. Darüber schreibt die Autorin eben auch u.a.

    Zitat

    Wie wurden sie nun widerlegt? Indem die Herkunft genannt wurde, obwohl sie doch keine Rolle für die Tat spielte. Die Autorin
    übersieht schlicht, dass Fakten eben auch den Wind aus den Segeln der Kapitäne nehmen kann, die auf der Gerüchtewelle schippern.

    Mit anderen Worten: Man kocht die Gerüchtewelle erst hoch, indem man für die Tat irrelevante Kategorien medial pusht, um sie dann zu widerlegen (womit man diesen Kategorien mindestens implizit eine große Wirkmacht zuschreibt)? Nee ganz im Ernst, das würde alles auch einfacher gehen.

    Zitat

    Dann stellt sie wieder mit Recht fest: „Dass dieser Ali womöglich aus rechtsextremen Motiven gehandelt haben könnte, obwohl er
    ausländische Eltern hat, das lag ebenso jenseits ihrer Vorstellung“. Diese falsche Vorstellung hat sich nun geändert. Warum?
    Weil die Herkunft des Täters genannt wurde. Eine falsche Vorstellung wurde widerlegt, der Bürger aufgeklärt. Eigentlich super, oder?
    Wenn es nach der Autorin gegangen wäre, wäre das aber nicht passiert.

    Wenn es nach der Autorin ginge, hätte man die Ermittlungen abgewartet und es wäre über Motivlage des Täters genau daselbe dabei rausgekommen, ganz ohne Herkunft, Schuhgrüße oder Augenfarbe. Ehrlich gesagt würde mir das so reichen. Ich hoffe vielen anderen auch.

    Dieser Abschnitt verdeutlicht so gut, wie es um die öffentlichen Diskurse in Deutschland bestellt ist:

    Zitat

    Ein Mensch tötet. Ein Rentner beobachtet das Geschehen von seinem Balkon aus und findet den Mut, dem Täter etwas zu zurufen. Es entspinnt sich ein erschütternd irrer Wortwechsel. "Wichser, Arschloch, Scheiß-Kanake", das fällt dem Rentner wirklich als Erstes ein, als er einen bewaffneten jungen Mann mit dunklem Haar wüten sieht. Und der Täter antwortet, natürlich akzentfrei, wie auch sonst: "Ich bin Deutscher! Ich bin in Deutschland geboren worden!" Dann schießt er weiter.

    Nicht gut. Gar nicht gut. Sowas geschieht, wenn die Herkunft gesellschaftlich zu einer so überbordenden Kategorie geworden ist, dass sie alle anderen komplett (und fälschlicherweise!) überlagert.

  • Und das bedeutet? Richtig, dass allerorten ganz viel substanzloser Bullshit geschrieben wurde. Und nun kann man sich fragen, ob das nötig war oder gar befeuert wurde. Auf jeden Fall dürften wir uns einig sein, dass es das alles nicht gebraucht hätte.

    Vielleicht sind wir uns noch in etwas anderem einig, nämlich darin, dass sich da auf absehbare Zeit nichts ändern wird (und vielleicht auch
    darin, dass die Klagen, die man da jetzt hört, vor 40 Jahren auch kamen.) Wir haben in den letzten Jahrzehnten erlebt, wie die Nachrichten
    sich beschleunigt und boulevardisiert haben. Das hat durch die sozialen Medien noch einmal eine neue Dimension erfahren. Das kann man
    beklagen oder auch nicht, aber man muss es zur Kenntnis nehmen und sich den Gegebenheiten anpassen.

    Die Autorin sieht das auch, bietet aber als Lösungsstrategie etwas an, was an den Bedürfnissen der Bürger offensichtlich vorbei geht und
    schlägt dann eine paternalistische Aushungerungsstrategie vor: "Wenn wir Medien euch nur lange genug die Informationen vorenthalten, wird
    euch der Appetit darauf schon vergehen". Der Aussichten auf Erfolg scheinen mir hier ziemlich schlecht zu stehen. Selbst wenn das langfristig funktionieren würde, überließe sie damit jetzt den Rattenfängern das Feld.

    Man muss doch nur mal den Attentäter von München googeln. Während es bei Wikipedia nicht mal einen Eintrag gibt, werden bei pluspedia
    (vermeintliche?) Fakten zu ihm gesammelt. In einem Informationszeitalter Information unterdrücken zu wollen, scheint ein Kampf gegen
    Windmühlen zu sein (hier auch liebe Grüße an Barbara Streisand).

    Den hier immer wiederkehrenden Punkt von der Bevormundung finde ich doch etwas unreflektiert, da er offenbar nur für bestimmte Kriterien gilt, die jedoch ähnlich aussagelos wie andere sind. Werde ich bevormundet, weil nicht jedes Detail des Täters durch die Medien geistert? Nö. Meines Wissens wurde seine Schuhgröße nirgends erwähnt und die Augenfarbe nicht weiter thematisiert.

    Schon richtig, dass das nicht berichtet wird, aber der Grund ist hier doch ein anderer. Es gibt hier einfach kein Publikumsinteresse an der
    Augenfarbe. Warum gibt es das nicht? Weil die Bürger für sich erkannt haben, dass es da keinen Zusammenhang gibt. Deswegen
    verzichten sie darauf, hier informiert werden zu wollen. Bei der Herkunft sieht das aber anders aus. Da gibt man den Leuten nicht,
    was sie wollen und nimmt ihnen auch die Gelegenheit am Beispiel zu lernen - und beklagt wie die Autorin hinterher den Bildungsstand
    der Bürger.

    Wenn ich bestimmte Informationen nicht haben möchte, ist das mein freier Wille. Wenn ich sie nicht kriege, weil jemand für mich
    die Entscheidung fällt, dass ich sie nicht haben darf, ist das Bevormundung.

    Du trittst hier also für Bevormundung ein. Das ist ok, wenn wir von Kindern reden. Ich drücke meinem siebenmonatigen Sohn auch keine
    Flasche Putzmittel in die Hand. Einem Bürger aber Informationen vorzuenthalten, heißt, ihn für nicht mündig zu halten und einer Zweiklassengesellschaft das Wort zu reden, wo manche Bürger Wissen haben dürfen, andere aber nicht. Warum gerade Journalisten
    hier höherwertige Wesen sein sollten, erschließt sich mir nicht.

    Die Autorin fragt diesbezüglich nicht zu Unrecht: Warum muss als erstes irgendeine Herkunft ausgegraben werden?

    Die Frage kann man stellen und das ist auch wichtig. Aber das Interesse ist nun einmal da, ob es uns passt oder nicht. Darauf herabzuschauen
    uns es aus noblen Gründen zu ignorieren, wird nicht helfen. Es macht die Situation mE nur schlimmer. Die Leute fühlen sich dann in ihren
    Bedürfnissen mit Recht nicht ernst genommen. Hier schafft man sich genau das Problem, das man bekämpfen möchte. Zielgerichtet wirkt
    das nicht.

    Die Scharfmacher entstehen zwangsläufig aus einem Nährboden, den die Gesellschaft bereitstellt. Es ist Aufgabe der demokratischen Kräfte, diesen Nährboden so weit wie möglich auszutrocknen. Und das geht sicherlich nicht mit vorauseilendem Gehorsam, indem man als allererstes diesen Menschen deren entscheidende Kategorie (die Herkunft) in prominenter Stellung präsentiert, um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Somit stabilisiert sich die Herkunft in öffentlichen Diskursen als relevante Kategorie, die sie eben nicht grundsätzlich ist. Hier werden im Namen der angeblichen Nicht-Bevormundung neue Grenzen und Mauern errichtet, die in keinster Weise nötig oder zweckhaft sind. Darüber schreibt die Autorin eben auch u.a.

    Der Sumpf wird aber nicht trocken gelegt, indem man Wasser auf die Mühlen der Demagogen leitet. Gerüchte und Verdächtigungen müssen
    widerlegt, nicht ignoriert werden. Fällt dir ein Beispiel ein, wo das Unterdrücken funktioniert hätte?

    Die Darstellung der Autorin sagt mE eine Menge über ihr Menschenbild aus: Wenn die Medien eine Kategorie - hier also die Herkunft -
    nutzen, wird die von den Bürgern einfach als wichtig übernommen. Aha. Wenn die Medien also morgen auf die Idee kämen, bei jedem Attentat
    den Tabellenstand von Borussia Dortmund zu nennen, würde das vom Bürger auch als relevant akzeptiert, weil es die Medien bringen?
    Wohl kaum, oder? Die Leute würden natürlich merken, dass hier gar kein Zusammenhang besteht und für sich entscheiden, darauf nicht zu hören.
    Diese Möglichkeit des Lernens an solchen Beispielen wird ihnen durch das Vorenthalten aber genommen.

    Für die Autorin sind die Bürger eben keine mündigen Bürger, die für sich selbst entscheiden können, "man" muss für sie entscheiden.

    Dass die Herkunft des Täters laut Pressekodex zunächst einmal - es sei denn, es besteht ein Sachbezug zum Verständnis der Tat - nicht erwähnt wird, ist eine Errungenschaft, die auf schlimmen historischen Erfahrungen fußt und die wir daher alle schätzen sollten. Das hat - eben auch historisch - mit Bevormundung wenig zu tun, sondern mit der Rolle der Medien als Gatekeeper, als Agenda-Setter und nicht zuletzt ganz einfach mit der Gefahr der Tendenziösität.

    Mit schlechten historischen Erfahrungen können wir so ziemlich jede Einschränkung von egal was rechtfertigen. Ich nehme aber nur mal die
    letzten drei von dir genannten Punkte.

    Ich habe heute morgen ein Interview mit Claudia Roth gehört, wo sie sagte, dass sie "natürlich glaube", dass wenn Menschen "die seit
    Generationen hier leben oder die seit Jahrzehnten hier sind, die auch zum Teil deutsche Staatsbürger sind" danach gefragt werden, wer ihr
    Präsident ist, sie Gauck sagen würden, "aber die Antwort [ist] Tayyip Erdogan" wie sie zu ihrer eigenen Überraschung zugibt.

    Da frage ich mich, wie sie auf diesen Gedanken kommt und die Antwort scheint mir auf der Hand zu liegen. Hier wurde auch von der
    links-liberalen Presse jahrzehntelang tendenziös berichtet, Informationen vorenthalten oder erst gar nicht wahrgenommen und ein
    Agenda-Setting betrieben, bis ein so verzerrtes Bild von der Realität entstand, dass die Partei, die glaubt, die Interessen der Migranten
    zu kennen, diese gar nicht mehr kannte.

    Die Presse berichtet eben offensichtlich nicht nicht tendenziös. Ganz im Gegenteil, es ist für viele Teile der Presse sogar das
    Alleinstellungsmerkmal in einer bestimmten Richtung tendenziös zu berichten. Deswegen haben wir die taz und die FAZ und alles was es
    sonst noch gibt.

    Die Presse liegt auch oft genug falsch, wie ich mit dem Beispiel der "Döner-Morde" klar gezeigt habe. Das war ein absolut richtiges
    Beispiel, weil es belegen sollte, dass Presse falsch liegt. Was du da anführst, hat etwas mit dem Warum zu tun, um das es mir aber gar
    nicht ging.

    Presse betreibt Agenda-Setting, klar. Ersetze Agenda-Setting aber mal durch "Bild fährt Kampagnen" und schon wird klar, was du hier
    anpreist. Wie toll dieses Agenda-Setting funktioniert, muss man sich nur mal am Beispiel des Agenda-Settings beim Thema Waldsterben
    anschauen, wo eine Phänomen zum Thema der Stunde gemacht wurde, dass es so gar nicht gab. Hier haben viele Gate-Keeper z.B. einfach
    die Zahlen vorenthalten, wie es wirklich mit der Entwicklung des Waldbestands in Deutschland aussah.

    Trotz dieser Versagensliste - dies sich beliebig verlängern ließe und die nichts mit links und rechts zu tun hat - sollen, diese Leute
    entscheiden dürfen, was ich wissen darf und was nicht? Was genau qualifiziert sie denn dazu? Und was genau disqualifiziert mich?

    Mit anderen Worten: Man kocht die Gerüchtewelle erst hoch, indem man für die Tat irrelevante Kategorien medial pusht, um sie dann zu widerlegen (womit man diesen Kategorien mindestens implizit eine große Wirkmacht zuschreibt)? Nee ganz im Ernst, das würde alles auch einfacher gehen.

    Das sind nicht nur andere Worte, es sind schlicht falsche Worte. Wie die AFD-Reaktionen zeigen, wird das Thema nicht von den Medien gepusht,
    sondern von anderen Leuten. Es ist auch ein Thema, das viel älter ist, als Medien. Hier überschätzt die Autorin schlicht die Bedeutung der Medien und
    tut so`, als ob alles von denen ausginge. Sorry, aber so wichtig sind Medien nicht. Die Autorin will aus Angst ein Thema ignorieren und glaubt damit
    Vorurteile abzubauen. Wie erfolgreich das ist, kann man an der Entwicklung von Vorurteilen sehen, die jahrelang nicht von den Medien bedient
    wurden und sich nicht nur dennoch, sondern mE gerade deshalb weiter entwickelt haben.

    Wenn es nach der Autorin ginge, hätte man die Ermittlungen abgewartet und es wäre über Motivlage des Täters genau daselbe dabei rausgekommen, ganz ohne Herkunft, Schuhgröße oder Augenfarbe. Ehrlich gesagt würde mir das so reichen. Ich hoffe vielen anderen auch.

    Deine Hoffnungen in allen Ehren. Ich wünsche mir als Fahrradfahrer auch ständig Rückenwind. Aber das Leben ist doch nicht so.

    Die Medien rotieren bei solchen Ereignissen doch nicht aus purem Jux im Leerlauf, sondern weil das Publikum die Ermittlungen eben nicht
    abwarten will, sondern sofort etwas wissen möchte. Wenn es anders wäre, hätte die Polizei doch nicht nachts eine PK geben müssen.
    Die Realität ist einfach eine andere, als die von uns erträumte.

    "I guess football has always been a barometer of the times: the takeover of Manchester United was a perfect manifestation of the unacceptable face of modern capitalism." - Jarvis Cocker.

    Einmal editiert, zuletzt von Derek Brown (31. Juli 2016 um 11:30)

  • Yesss, Derek-Vergleiche :rockon: Hab die ganz krassen in den letzten Monaten und Jahren fast ein wenig vermisst (unvergessen: Brett Favre und das brennende Haus).

    Ich werde da jetzt nicht auf jeden eingehen und selber irgendwelche "fantasievollen" Analogien heranziehen, an denen du dich dann abarbeiten kannst - würde uns beide nerven und dem Rest der Gemeinde keinen wesentlichen Gewinn bescheren. Daher abschließend noch einmal die wesentlichen Differenzen zusammengefasst, kannst dich daran natürlich gerne nochmal austoben :)

    Die Autorin sieht das auch, bietet aber als Lösungsstrategie etwas an, was an den Bedürfnissen der Bürger offensichtlich vorbei geht undschlägt dann eine paternalistische Aushungerungsstrategie vor: "Wenn wir Medien euch nur lange genug die Informationen vorenthalten, wird
    euch der Appetit darauf schon vergehen".

    Falsch. Man muss nur die impliziten Diskriminierungen in der Informationen-bias thematisieren. Warum soll die eine Information wichtiger sein als die andere, obwohl beide offensichtlich nichts mit der Tat zu tun haben? Dies darf - nein, muss! - man kritisch hinterfragen. Kann man gar nicht oft genug tun.
    Was ich schon so alles von Bürgern gelesen habe, die kruden Heilmethoden anhängen und absolut überzeugt vom Zusammenhang irgendwelcher Chakren und Krebsgesundung sind (oder wat weiß ich). Wissenschaftlich genauso wenig haltbar. Muss ich dem medial nachkommen, damit die sich ernstgenommen fühlen? Nein, ich muss dies dekonstruieren - weils nunmal gefährlich ist. Und da muss man dann auch aushalten können, dass einige Unverbesserliche eine große Verschwörung der Schulmediziner wittern, die die Esoterik auf diese Weise bekämpfen wollen. Du siehst "Informationen" als etwas neutrales, objektives - das sind sie natürlich nicht.

    Zitat

    Schon richtig, dass das nicht berichtet wird, aber der Grund ist hier doch ein anderer. Es gibt hier einfach kein Publikumsinteresse an derAugenfarbe. Warum gibt es das nicht? Weil die Bürger für sich erkannt haben, dass es da keinen Zusammenhang gibt. Deswegen verzichten sie darauf, hier informiert werden zu wollen. Bei der Herkunft sieht das aber anders aus.

    Nein, weil sie Diskursen aufsitzen, die so mächtig sind, dass sie ihnen - entgegen jeder wissenschaftlichen Forschung zu Amokläufern - einreden, dass es da Zusammenhänge gibt. Woher denkst du glauben Menschen an diese Zusammenhänge? In die DNA eingeschrieben?

    Zitat

    Wenn ich bestimmte Informationen nicht haben möchte, ist das mein freier Wille. Wenn ich sie nicht kriege, weil jemand für mich
    die Entscheidung fällt, dass ich sie nicht haben darf, ist das Bevormundung.

    Da dus so pauschal formulierst: Auf deine Einlassungen in Sachen Geheimdienste und Verfassungsschutz bin ich jetzt schon gespannt ;)
    Und wie gesagt, mein freier Wille bezüglich der Schuhgröße wurde immer noch nicht berücksichtigt. LÜGENPRESSE!

    Zitat

    Du trittst hier also für Bevormundung ein. Das ist ok, wenn wir von Kindern reden. Ich drücke meinem siebenmonatigen Sohn auch keine Flasche Putzmittel in die Hand. Einem Bürger aber Informationen vorzuenthalten, heißt, ihn für nicht mündig zu halten und einer Zweiklassengesellschaft das Wort zu reden, wo manche Bürger Wissen haben dürfen, andere aber nicht. Warum gerade Journalisten hier höherwertige Wesen sein sollten, erschließt sich mir nicht.

    Zitat

    Für die Autorin sind die Bürger eben keine mündigen Bürger, die für sich selbst entscheiden können, "man" muss für sie entscheiden.

    Nach deiner ganzen Bevormundungs-Logik wäre die Welt voller Bevormundungen, angefangen bei der repräsentativen Demokratie, nein: eigentlich bei jeder Art der Repräsentation, bei der man keinen Einfluss mehr auf einzelne Punkte hat, weil man ein 'Paket' wählen oder bestimmen muss. Auch jede wissenschaftliche Erkenntnis, jede Expertise, einfach alles wäre Bevormundung ("AIDS? Nie gehört! Muss eine andere Ursache haben, Gottes Zorn oder so, weiß ich besser!").
    Zu dem Punkt mit den Journalisten (der dich offenbar besonders beschäftigt): Man muss hier berücksichtigen, dass es sich bei derartigen Regelungen um professionelle Standards (oder auch professionelle Ethik) handelt, die jeder Profession eigen ist und die - insbesondere höhere - Professionen von gewöhnlichen Berufen unterscheidet (auch wenn die berufssoziologische Forschung in jüngerer Zeit auch gegenseitige Annäherungen untersucht hat). Dies ist übrigens in Deutschland noch vergleichsweise gering ausgeprägt im Gegensatz etwa zu den angelsächsischen Ländern, da die Professionen hierzulande historisch betrachtet unter starker staatlicher Einflussnahme 'geschaffen' wurden und sich nicht autonomer entwickelt haben. Diese professionellen Codes findet man in allen höheren Professionen - bspw. bei den Medizinern als zentrales Moment den hippokratischen Eid, der auch nie demokratisch legitimiert wurde (Bevormundung!!!!11). Wenn du da also konsequent vorgehen würdest, müssten alle dieser Codes obsolet werden.
    Mal davon abgesehen: Ist es nicht auch Bevormundung, wenn du einer Profession verbietest, sich für ihre Ausübung gewisse Standards zu beschließen? Ich rieche eine Zwickmühle...

    Ich finde es persönlich ehrlich gesagt wesentlich bevormundender, anderen ihre Irrtümer zu lassen, nur weil man denen ihren vermeintlich natürlichen Ursprung nicht antasten oder die Menschen ja nicht überfordern will.

    Zitat

    Der Sumpf wird aber nicht trocken gelegt, indem man Wasser auf die Mühlen der Demagogen leitet. Gerüchte und Verdächtigungen müssenwiderlegt, nicht ignoriert werden. Fällt dir ein Beispiel ein, wo das Unterdrücken funktioniert hätte?

    Nö, ich leite dauerhafter und nachhaltiger Wasser auf die Mühlen der Demagogen, indem ich mir ihre Kategorien aneigne und sie in vorauseilendem Gehorsam zu wirkmächtigen erkläre.

    Zitat

    Die Frage kann man stellen und das ist auch wichtig. Aber das Interesse ist nun einmal da, ob es uns passt oder nicht. Darauf herabzuschauenuns es aus noblen Gründen zu ignorieren, wird nicht helfen. Es macht die Situation mE nur schlimmer. Die Leute fühlen sich dann in ihrenBedürfnissen mit Recht nicht ernst genommen.

    Zitat

    Die Darstellung der Autorin sagt mE eine Menge über ihr Menschenbild aus: Wenn die Medien eine Kategorie - hier also die Herkunft -
    nutzen, wird die von den Bürgern einfach als wichtig übernommen. Aha. Wenn die Medien also morgen auf die Idee kämen, bei jedem Attentat
    den Tabellenstand von Borussia Dortmund zu nennen, würde das vom Bürger auch als relevant akzeptiert, weil es die Medien bringen?
    Wohl kaum, oder? Die Leute würden natürlich merken, dass hier gar kein Zusammenhang besteht und für sich entscheiden, darauf nicht zu hören.
    Diese Möglichkeit des Lernens an solchen Beispielen wird ihnen durch das Vorenthalten aber genommen.

    Das ist jetzt aber wirklich interessant (von dem Vergleich mal abgesehen, den Unterschied solltest auch du dir erklären können, da bin ich ganz optimistisch ;) ), gerade da du dich ja in irgendeiner Form auch als Gesellschaftswissenschaftler verstehst (zumindest klingt das zwischen den Zeilen ab und an durch). Dieser Absatz offenbart ein extrem essenzialistisches Weltbild, welches in den Sozialwissenschaften heutzutage kaum noch anzutreffen ist. Du machst hier Punkte aus, die quasi 'von Natur aus' Relevanz besitzen sollen und ignorierst so die umfassende soziale Konstruktion von Wirklichkeit. Wie der Begriff Konstruktion schon nahelegt, sind wir nicht auf alle Zeiten darauf zurückgeworfen, sondern können etwas daran ändern - historisch waren diese Kategorisierungen immer radikalsten Änderungen unterworfen.
    Der sog. "freie Wille" ist doch keine anthropologische Konstante, wie ich im letzten Posting bereits versuchte zu verdeutlichen, sondern entspinnt sich an aktuell dominanten Kategorisierungen.

    Zitat

    Da frage ich mich, wie sie auf diesen Gedanken kommt und die Antwort scheint mir auf der Hand zu liegen. Hier wurde auch von der
    links-liberalen Presse jahrzehntelang tendenziös berichtet, Informationen vorenthalten oder erst gar nicht wahrgenommen und ein
    Agenda-Setting betrieben, bis ein so verzerrtes Bild von der Realität entstand, dass die Partei, die glaubt, die Interessen der Migranten
    zu kennen, diese gar nicht mehr kannte.

    Verzerrtes Bild von der Realität? Besser kann man unseren Dissens wohl nicht zusammenfassen :)

    Zitat

    Die Presse berichtet eben offensichtlich nicht nicht tendenziös. Ganz im Gegenteil, es ist für viele Teile der Presse sogar das
    Alleinstellungsmerkmal in einer bestimmten Richtung tendenziös zu berichten. Deswegen haben wir die taz und die FAZ und alles was es
    sonst noch gibt.

    Kein Wunder, da es nicht-tendenziös schon allein durch die verwendete Wortwahl niemals geben kann. Jeder, der das glaubt, ist doch sehr naiv.

    Zitat

    Die Presse liegt auch oft genug falsch, wie ich mit dem Beispiel der "Döner-Morde" klar gezeigt habe. Das war ein absolut richtiges
    Beispiel, weil es belegen sollte, dass Presse falsch liegt. Was du da anführst, hat etwas mit dem Warum zu tun, um das es mir aber gar
    nicht ging.

    Dass es bei dir um das Warum nicht geht, scheint eine allgemeine Diskrepanz in unseren Argumentationen zu sein. Reine Deskription führt IMO meistens nicht zu entsprehcendem Erkenntnisgewinn.

    Zitat

    Trotz dieser Versagensliste - dies sich beliebig verlängern ließe und die nichts mit links und rechts zu tun hat - sollen, diese Leute
    entscheiden dürfen, was ich wissen darf und was nicht? Was genau qualifiziert sie denn dazu? Und was genau disqualifiziert mich?

    Siehe andere Professionen: Ärzte, Juristen. Warum komme ich keinen Zugang zu allen Informationen, obwohl die Versagensliste mindestens ebenso lang ist. Glauben die Leute etwa, dass Ärzte oder Juristen mit Informationen vertraulicher umgehen als ich? Was disqualifiziert mich dazu?
    WIe gesagt, man kann professionelle Privilegien (genau wie ihre Codes) gerne diskutieren, dann aber umfänglich und nicht den Happen rauspickend, der einem am besten mundet.

    Zitat von Derek Brown

    Das sind nicht nur andere Worte, es sind schlicht falsche Worte. Wie die AFD-Reaktionen zeigen, wird das Thema nicht von den Medien gepusht,sondern von anderen Leuten. Es ist auch ein Thema, das viel älter ist, als Medien. Hier überschätzt die Autorin schlicht die Bedeutung der Medien und
    tut so`, als ob alles von denen ausginge. Sorry, aber so wichtig sind Medien nicht.

    Die Überschätzung der Medien ist ja ein altbekanntes Narrativ von dir. Hier geht es aber nicht nur um Medien, sondern (allgemeiner) um Öffentlichkeit, in der die (Massen-)Medien nunmal eine nicht ganz ungewichtige Rolle spielen. Und da kommen wir wieder an den obigen Punkt von der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit. Man muss nun wahrlich kein Experte auf dem Gebiet der Diskursforschung zu sein, um den Zusammenhang von öffentlichen Diskursen und Macht bei der Herstellung solcher - anscheinend relevanter - Kategorien zumindest anzuerkennen. Die scheinbare Natürlichkeit von bestimmter sozialer Praxis (aka "Die Leute wollen es so") ist ja gerade das stabilisierende daran, insbesondere wenn man es einfach von oben draufgeschaut als 'interessenfreie' Wahrheit oder Realität labelt, ohne die sozialen Umstände, die dazu geführt haben, genauer betrachtet und analysiert.

    Zitat

    Deine Hoffnungen in allen Ehren. Ich wünsche mir als Fahrradfahrer auch ständig Rückenwind. Aber das Leben ist doch nicht so.


    Die Medien rotieren bei solchen Ereignissen doch nicht aus purem Jux im Leerlauf, sondern weil das Publikum die Ermittlungen eben nicht
    abwarten will, sondern sofort etwas wissen möchte. Wenn es anders wäre, hätte die Polizei doch nicht nachts eine PK geben müssen.
    Die Realität ist einfach eine andere, als die von uns erträumte.

    Jo, Rückenwind, Naturgewalten, wenn man so will. Kann man nicht beeinflussen. Das andere schon, weil es von Menschen so konstruiert wurde (s.o.). Genau wie eine potentiell widersprüchliche und sehr fluide "Realität". Bzw. eher das, was du als Realiktät wahrnimmst, was bei jedem anderen aber schon eine ganz andere sein kann.


    Ist nu doch länger geworden, aber hiermit belasse ichs dann bis auf Weiteres. Können also alle aufatmen ;)

  • Wen hat denn hierzulande ernsthaft der IRA- oder ETA-Terror interessiert (im Sinne von einer persönlich "gefühlten" Bedrohung) Auch nur eine von vielen Statistiken, die einem das zeigt, was man gerne haben will...

    Ich sage ja auch nicht, dass heute alles viel schlimmer ist, aber selbst der RAF-Terror hat den "Normalbürger" doch nie wirklich persönlich verunsichern müssen, der richtete sich ja hauptsächlich gegen Staats- bzw. "kapitalistische" Organe - mit Ausnahme der "Landshut"-Entführung natürlich, aber das war ja nicht einmal die RAF selbst...

    Minnesota Vikings 2022:

    13-5 - one and done. Meh.

  • Ich war damals zwar noch sehr jung, aber die RAF war damals schon sehr präsent. Ständig in den Nachrichten, sogar bei uns in der Dorfpost hing ein Fahndungsplakat. Ist zwar eine andere Situation als heute, aber die Dimension dürfte ähnlich gewesen sein.

    Keep Pounding

  • Wen hat denn hierzulande ernsthaft der IRA- oder ETA-Terror interessiert (im Sinne von einer persönlich "gefühlten" Bedrohung) Auch nur eine von vielen Statistiken, die einem das zeigt, was man gerne haben will...

    Ich sage ja auch nicht, dass heute alles viel schlimmer ist, aber selbst der RAF-Terror hat den "Normalbürger" doch nie wirklich persönlich verunsichern müssen, der richtete sich ja hauptsächlich gegen Staats- bzw. "kapitalistische" Organe - mit Ausnahme der "Landshut"-Entführung natürlich, aber das war ja nicht einmal die RAF selbst...

    Bei ETA und IRA war aber das Operationsgebiet, klar definiert... Beim IS ist das dann doch ein wenig anders...

  • Ich war damals zwar noch sehr jung, aber die RAF war damals schon sehr präsent. Ständig in den Nachrichten, sogar bei uns in der Dorfpost hing ein Fahndungsplakat. Ist zwar eine andere Situation als heute, aber die Dimension dürfte ähnlich gewesen sein.

    Ja, präsent war sie durchaus - im Fernsehen und auf den angesprochenen Plakaten, über die wir uns an der Bushaltestelle auf dem Schulweg immer köstlich amüsiert haben wegen der "hübschen" Fotos...an dieses hier von 1983 erinnere mich besonders gut, über den Henning Beer haben wir uns besonders gerne lustig gemacht:


    Bei ETA und IRA war aber das Operationsgebiet, klar definiert... Beim IS ist das dann doch ein wenig anders...

    Bist du der Ben Roethlisberger aus Facebook? *duck* :tongue2:

    Minnesota Vikings 2022:

    13-5 - one and done. Meh.

    2 Mal editiert, zuletzt von Johnny No89 (3. August 2016 um 12:09)

  • Wen hat denn hierzulande ernsthaft der IRA- oder ETA-Terror interessiert (im Sinne von einer persönlich "gefühlten" Bedrohung) Auch nur eine von vielen Statistiken, die einem das zeigt, was man gerne haben will...

    Ich sage ja auch nicht, dass heute alles viel schlimmer ist, aber selbst der RAF-Terror hat den "Normalbürger" doch nie wirklich persönlich verunsichern müssen, der richtete sich ja hauptsächlich gegen Staats- bzw. "kapitalistische" Organe - mit Ausnahme der "Landshut"-Entführung natürlich, aber das war ja nicht einmal die RAF selbst...

    Es gibt eine unumstößlich Wahrheit in dieser Statistik, die man auch nicht "wegdialektisieren" kann. Denn Punkt ist doch, dass a) die schlichte Häufigkeit von Anschlägen im jetzt überproportional wahrgenommen wird, vor allem im Rückblick auf vermeintlich friedliche und ruhige Zeiten, und dass b) das Risiko davon erwischt zu werden nach wie vor verflixt gering ist. Ich bin ja nun relativ viel an Flughäfen. Meine Frau meint dann scherzhaft immer, ich solle mich von alleinstehenden Koffern fernhalten. Dabei steigt mein Risiko erst mit dem Verlassen des Flughafenparkhauses nach der Landung signifikant an. Es ist einfach klug sich dessen zu vergegenwärtigen und nicht in die emotionale Falle zu tappen.

    "Players don't know how lucky they are, I think, to be in a place like Philly. I would've - if I could've kept playing a long time there, I would've played 'til the wheels fell off." - Chris Long

  • und nicht in die emotionale Falle zu tappen.

    Das ist doch genau das Problem. Es gibt immer und immer wieder eine Mediensau, die durchs Dorf getrieben wird. Momentan eben der Terrorismus. Und dann ist jeder gleich total emotionalisiert obwohl es keinen wirklichen Grund dafür gibt. Aber ohne Krisen keine Klicks, Auflagen, Einschaltquoten. Insofern kann man nur persönlich an sich arbeiten nicht in die erwähnte Falle zu tappen

  • Es gibt eine unumstößlich Wahrheit in dieser Statistik, die man auch nicht "wegdialektisieren" kann. Denn Punkt ist doch, dass a) die schlichte Häufigkeit von Anschlägen im jetzt überproportional wahrgenommen wird, vor allem im Rückblick auf vermeintlich friedliche und ruhige Zeiten, und dass b) das Risiko davon erwischt zu werden nach wie vor verflixt gering ist. Ich bin ja nun relativ viel an Flughäfen. Meine Frau meint dann scherzhaft immer, ich solle mich von alleinstehenden Koffern fernhalten. Dabei steigt mein Risiko erst mit dem Verlassen des Flughafenparkhauses nach der Landung signifikant an. Es ist einfach klug sich dessen zu vergegenwärtigen und nicht in die emotionale Falle zu tappen.

    Bei den Taxifahrern in Bejing unterschreibe ich das sofort :eek:

    Dann mach ich eben mein eigenes Forum auf...mit Blackjack und Nutten!

  • Bei den Taxifahrern in Bejing unterschreibe ich das sofort :eek:

    So wie bei denen in Budapest. Und die verstehst du auch genauso wenig. :D

    "Players don't know how lucky they are, I think, to be in a place like Philly. I would've - if I could've kept playing a long time there, I would've played 'til the wheels fell off." - Chris Long

  • So wie bei denen in Budapest. Und die verstehst du auch genauso wenig. :D

    Mein persönlicher Albtraum sind indische Taxifahrer die um einer Kuh auszuweichen auch mal mitten durch eine Menschenansammlung fahren und hinterher auch noch stolz sind das sie es rechtzeitig zum Flughafen geschafft haben. 8o

  • Mein persönlicher Albtraum sind indische Taxifahrer die um einer Kuh auszuweichen auch mal mitten durch eine Menschenansammlung fahren und hinterher auch noch stolz sind das sie es rechtzeitig zum Flughafen geschafft haben. 8o

    Mein persönliches Highlight war vorletztes Jahr, als ich zu einem Meeting in Prag war und uns ein Fahrer von Metrostav, dem Tschechischen Baulöwen, nachher zum Flughafen brachte. Der hat son bisschen gewirkt als wolle er sich für den nächsten "Transporter"-Film bei uns bewerben, zumal wir wegen des üblichen Staus durch alle möglichen Seitenstraßen gefahren sind. Ich glaube, der hochgezüchtete Skoda war nicht einmal unter 5000 Touren. :D

    "Players don't know how lucky they are, I think, to be in a place like Philly. I would've - if I could've kept playing a long time there, I would've played 'til the wheels fell off." - Chris Long

  • Mit dem Video feiern wohl nicht nur du und Ich unser 25. Jubiläum, es wird wohl auch ein runder Geburtstag für Sendeanstalten wie ARD oder ZDF, die regelmäßig hinterher anmerken das ihre Berichterstattung überarbeitungswürdig ist und mind. mit den (im Video genannten) Argumenten verändert gehört, um dann anschließend absolut NIX zu machen.

    Nach Phase 1, dem Berichten ohne Rücksicht auf Verluste, ist jetzt Phase 2 eingeleitet:
    Wie Medien mit Amokläufen umgehen sollten

    Wenn man jetzt Glück hat, erlebt man noch Phase 3, die Zeit wo das alles vergessen wird. Mit Pech landet man direkt wieder bei Phase 1.

    -----------------
    It is time for us to do what we have been doing and that time is every day.

  • Nach Phase 1, dem Berichten ohne Rücksicht auf Verluste, ist jetzt Phase 2 eingeleitet:Wie Medien mit Amokläufen umgehen sollten

    Wenn man jetzt Glück hat, erlebt man noch Phase 3, die Zeit wo das alles vergessen wird. Mit Pech landet man direkt wieder bei Phase 1.

    Solange Bild und Co. medial den Ton angeben, müssen und werden andere mitziehen. Ich würde mir nur wenigstens von ARD und ZDF eine andere Berichterstattung wünschen.