So etwas kennt man in ähnlicher Form auch in anderem Kontext. Beispielsweise ist der Begriff "schwul" in der heutigen (?) Jugendsprache negativ belegt. Das ist aber nicht Ausdruck einer besonderen Homophobie, sondern Bestandteil der jugendtypischen Auflehnung/Abgrenzung/Provokation gegenüber der älteren Generation.
Glaube ich nicht. Die ältere Generation hat genauso die gleichen Probleme mit 'schwul' - zumindest ein nicht zu unterschätzender Teil. Der Teil der Gesellschaft, der nicht gelernt hat mit Menschen umzugehen, die 'anders' sind. Das Rapper und andere das aufnehmen um damit Kohle zu machen ist verständlich. Das muss ich aber genausowenig tolerieren, wie den alten 70jährigen Nachbarn, der zum Afro-Amerikaner 'Neger' sagt, weil 'das hat man immer so gesagt'. Und das hat dann nichts mit Intoleranz zu tun, das ist ein Schluss, der nur von intoleranten Menschen geschlossen werden kann.
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Du verwechselst die Frage, ob man tolerant sein "muss" - was möglicherweise schon ein Widerspruch in sich sein könnte - mit der Frage, was Toleranz ist. Toleranz ist - wie Du partiell richtig erwähnst - Duldsamkeit, also das Hinnehmen fremder Überzeugungen, Handlungsweisen oder Sitten. Ob das "gnädig" sein muss, erscheint mir zweifelhaft. Selbstverständlich kann man allem (Fremden) gegenüber tolerant sein - wenn man will. Wenn man individuelle Freiheit für wichtig hält - was jedenfalls dem Menschenbild unseres Grundgesetzes entspricht -, sollte man jedenfalls in vielerlei Hinsicht tolerant ein. Eine vollkommene Toleranz liefe aber auch auf die faktische Aufgabe sämtlicher eigenen Werte hinaus. Man sollte also vernünftiger Weise nicht immer tolerant sein. Die spannende Frage ist, in Bezug aufwas man tolerant sein sollte und in Bezug auf was nicht. Diese Frage
stellt sich in Bezug auf alles Fremde. Dafür benötigt man Sachargumente - kein Schubladendenken.
Auch das ist ein Irrglaube. Toleranz bedeutet nicht, dass ich allen Fremden gegenüber tolerant sein muss. Nicht dem Vergewaltiger oder Frauenschläger, egal welche Hautfarbe, Herkunft oder Religion. Ich darf aber einen Menschen nicht weil er eine bestimmte Hautfarbe / Herkunft / Religion hat gleichsetzen mit dem negativen Beispiel. Das ist der ganz entscheidende Unterschied zwischen einem toleranten und einem intoleranten Menschen. Es gibt Mexikaner, die Drogen verticken und davon leben. Es gibt aber unzählig mehr Mexikaner, die damit nichts zu tun haben - wenn dann aber Donald Trump hingeht und sagt 'Mexicans are bad people' dann meint er damit alle. Und das kann und darf ich nicht hinnehmen.
Ich muss meine Werte nicht aufgeben, weil ich ein toleranter Mensch ist - nein, ich kann sehr wohl meine Werte vertreten. Gegenüber allen Menschen. Aber ich kann nicht dem Juden andere Werte vorhalten, als meiner eigenen Religion. Ich kann den Afro-Amerikaner nicht andere Werte vermitteln, als meinem weißen Arbeitskollegen. Das ist das allerwichtigste. Ich kann dem Muslim nicht die Unterdrückung der Frau vorwerfen, gleichzeitig aber einem Republikaner Beifall klatschen, der einer Frau vorschreiben will, wie sie zu leben und was sie zu lassen hat. Da sind wir dann aber nicht mehr bei Toleranz oder Intoleranz sondern Heuchelei und das führt zu weit.
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Ansonsten habe ich nichts dagegen, wenn man sich gegen Antisemitismus und Rassismus ausspricht - das ist "an sich" sogar sehr löblich. Ich habe nur - aber das hatten wir schon öfter und führt zu weit - den Eindruck, dass viel zu viel in diese Schubladen geworfen wird und die Begriffe dadurch verwässert werden.
Welche innere "Haltung" die hier in der Diskussion stehenden Personen haben, vermag ich nicht zu beurteilen. Kürzlich hatte jedenfalls jemand einen interessanten Artikel verlinkt, nach dessen Inhalt die - für jemanden wie mich befremdliche - drastische Wortwahl im Rap allgemein üblich und im Kontext (vereinfacht ausgedrückt) eher harmlos sei. Es sei quasi elementarer Teil des künstlerischen Wettstreits, möglichst drastische Formulierungen zu finden, ohne dass diese im Wortsinne (z. B. "Ich ficke Deine Mutter") ernst zu nehmen seien. Das muss mir nicht gefallen, aber das wirft vielleicht ein anderes Licht auf manchen Text.
Wie gesagt, das mag so sein, aber wenn die Tendenzen immer und wieder aufgegriffen werden und die Juden als "das Böse" hingestellt werden, dann haben wir diese Form der Übertreibung längst überschritten. Und dann ist es egal ob diese Tendenzen aus Geldgeilheit oder Machtgier (ist Trump rechts? - weiß ich nicht, aber er nutzt deutlich diese Methoden um dort seine Macht auszubreiten. Das ist nicht besser als der überzeugte Rechtsradikale) oder Überzeugung aufgegriffen werden. Und als Mensch, der s.o. die Werte vertritt, dass ich eine Person nicht nach Herkunft, Religion oder Hautfarbe beurteilen kann, kann ich das nicht 'tolerieren'. Das wäre ein fataler Widerspruch.