Mal ohne Pathos und mit dem Versuch objektiv zu bleiben:
Ich habe in den letzten Jahrzehnten nicht einmal (wirklich nicht!) von einem St. Pauli-Fan gehört, dass er seine DK abgibt, seine Fan-Utensilien einmottet, nicht mehr ins Stadion geht, nicht mehr TV schaut, nur weil St. Pauli grottenschlecht spielt und/oder absteigt. Auch diese Saison ist das außer den Siegen gegen den HSV und Bielefeld meistens wieder so richtig zum Abgewöhnen. Aber was soll man machen, es gibt halt nur diesen einen Verein. Spaß macht es irgendwie trotzdem, auch wenn häufig nur Sarkasmus und Ironie bleibt.Vielleicht ist ja auch das das Problem bei Euch: Anspruchsdenken und schnelle Unzufriedenheit, Druck der Fans statt Support (auch indirekt bei Geisterspielen). Sind vielleicht dann die 5%, die fehlen.
So nun muss ich doch nochmal ran. Ich hatte ein Vierteljahrhundert lang eine Dauerkarte, war mit dem Verein in halb Europa und ganz Deutschland unterwegs und hatte weite Teile meines Privatlebens um den HSV herum terminiert. Ich war schon Mitglied, als es nur ein Handvoll Förderer gab (aktuell hat der HSV so um die 70k Mitglieder meine ich). Das schreibe ich nicht als Angeberei, sondern als Widerlegung der Ungeduldsthese.
Der HSV gibt nichts zurück. Keine sportlichen Erfolge, keine Gefühl der Identifikationsfähigkeit, kein erkennbares Profil, nicht mal eine Handvoll halbwegs sympathischer Protagonisten. Wenn ich an wirklich geile HSV-Gefühle denken möchte, dann bin ich bei einem singulären 4:4 gegen Juve, einigen geilen Auswärtssiegen, mit 99/00 und 05/06 dann 2 Spielzeitench zumindest in der Nähe der Spitze. Ich will keine Titelsammlung, aber ich will Respektabilität. Ich will mich identifizieren können. Will das Gefühl haben, jawoll, mein Verein, der passt zu mir.
Die Entwicklung seit mindestens 10 Jahren ist eine Schande. Pleiten, Pech & Pannen. Millionen versenkt und veruntreut, kein Konzept, keine Konstanz, Spieler und Trainer und Systeme in Dauer-Rotation. Bei uns wird jeder langsamer und schlechter und reicher; die paar Ausnahmen wollen schnell weg. In der Branche lacht man über den HSV, der Mondpreise bezahlt. Hervorragend belegen das z.B. ein SPIEGEL-Artikel von 2019 oder Tobi Eschers Buch "Der Abstieg".
Seit der missglücken Ausgliederung gibt ein durchgedrehter Opa den Ton an. Der Verein ist so pleite, sobald der alte Mann keine Lust mehr hat, ist die HSV AG am Ende. Also wird gemacht, was er sagt. Er will Bobby Wood behalten ? Klar kein Ding, 4 Jahre a 4 Mios, wir habens ja.
Warum gerade jetzt meine Abstinenz ?
Ich ertrags nicht mehr. Ich habe das Wichtigste verloren, was ein Fan haben muss -> Hoffnung und Identifikation. Was ich meine -> Ich laufe Halbmarathon. Ich finishe 100km Wanderungen. Ich höre nicht vorzeitig auf. Noch nie. Jetzt gerade habe ich mir in den Kopf gesetzt, ich lerne Spanisch. Meine Frau ist genervt, weil sie weiss, ich ziehe das durch. Ich kann es nullkommanull nachvollziehen, wie man permanent in der Nachspielzeit versagen kann. Ich denke dann immer, würde nach 20 Stunden Wandern bei Kilometer 98 stehenbleiben, weil es gerade weh tut. Fuck nein. Und wenn ich krieche. Guck Dir den Dresdner Kapitän im Interview nach dem Abstieg an. Der artikuliert seine unverhohlene Ablehnung der DFL, zittert vor Wut, kann die Tränen kaum zurückhalten über die gefühlte Ungerechtigkeit gegenüber seinem Verein. Ich habe noch nie erlebt, dass ein HSV-Spieler so "seinen" Verein vertritt, mit soviel Herzblut.
Dieses Konstrukt (Kühnes AG) kann langfristig nur überleben, wenn es sportlich die erste Liga erreicht und sich dort entschuldet, ganz langfristig. In der zweiten Liga ist das nicht mal theoretisch möglich. Ich weiss nicht, wie es weitergehen kann langfristig. Ob es weitergehen kann. Und wie verhindert werden kann, dass der HSV sich und uns lächerlich macht, over and over and over again.
Diese kleinen Wünsche, mal stolz und begeistert sein und mit Hoffnung in die Zukunft gucken, mehr will ich ja gar nicht. Nach all den Jahren, all der Zeit, all dem Geld (habe sogar eine HSV Anleihe, natürlich das Geld nicht zurückverlangt, dem Verein geschenkt).
Der Vergleich mit Pauli ist keiner. Pauli ist für viele eine Projektionsfläche gesellschaftlicher und politischer Ansichten. Da geht es vielen nicht an erster Stelle um Profisport. Deshalb ist das kein ganz taugliches Beispiel. Außerdem hat St.Pauli das, was der HSV nicht mehr hat. Man geht weitgehend frei von kompletter Peinlichkeit durch die Liga. Und man ist finanziell gesund -> sprich: es gibt Hoffnung.