Mit einer peinlichen und katastrophalen Vorstellung endet unsere 2020 Season. Damit endet eine Season, die hoffnungsvoll angefangen hat, mit einer der schlimmsten Niederlagen - vor allem wenn wir uns die Art und Weise anschauen - in der Ära von Pete Carroll. Selbst die Playoffniederlagen gegen Dallas und Green Bay in den letzten Jahren oder die Niederlage im Superbowl kommen aus meiner Sicht da nicht ran.
Es ist die Art und Weise, wie man sich präsentiert hat sowie die Probleme, die mehr oder weniger offensichtlich geworden sind, die mich beschäftigen und auch eher skeptisch in die Zukunft blicken lässt.
Wir sollten nicht den Fehler machen und auf den Record schauen. 12-4 nach der Regular Season hört sich sehr gut an. Danach betrachtet zählt die Season zu den besten in der Franchise Historie. Nein, wir sollten genauer hinschauen und die Probleme genau analysieren. Dass das alles andere als einfach wird, stellt man sehr schnell fest.
Zum einen müssen wir festhalten, dass sich die Performance bereits in den letzten Wochen bzw. in der 2. Hälfte der Season angekündigt. Man gewann zwar viele Spiele doch bereits in diesen gab es entsprechende Probleme. Die Offense war komplett von der Rolle und hatte extreme Probleme den Ball zu bewegen. So gut Wilson in den 1. Wochen war, so schlecht war er und die gesamte Woche im späteren Verlauf der Season. Die Gegner passten sich der Spielweise der Seahawks-Offense an, während diese keine Counter-Moves aufweisen konnte. Personelle Ausfälle erschwerten das Problem, doch dürfen diese keine Ausrede sein. Aber warum hatte man solche Probleme? Warum konnte man auf die Veränderungen nicht reagieren? Warum verlor Wilson und die Receiver so ihre Abstimmung und Timing? Warum war man vor allem in 3rd Downs zu so schlecht?
Auf die Fragen gibt es vermutlich keine einfache Antwort. Viel eher ist ein großes Problem, welches sich aus ganz vielen Teilen und Ursachen zusammensetzt. Ich habe heute Vormittag die aktuelle Podcastfolge von Michael-Shawn Dugar gehört, die ich nur empfehlen kann. Der 1. Schritt in der Analyse und Aufschlüsselung des Problems muss damit beginnen, dass man sich Fehler und Probleme eingesteht.
Wie häufig haben Carroll, Schottenheimer, Wilson und Co uns erzählt, dass wir uns keine Sorgen um die Offense machen sollen und haben uns erklärt, wieso, weshalb, warum man hier und da kein 1st Down, keinen Drive, etc. zustande bekommen hat. Man muss sich eingestehen, dass die Offense massive Probleme hatte und entsprechende Lösungen finden. Und ja, da muss man dann auch die Philosophie entsprechend hinterfragen und schauen, ob alle Beteiligten nicht nur in die gleiche Richtung sondern auch den gleichen Weg gehen wollen.
Siege sind immer gut, aber vielleicht hätte man in der 2. Hälfte mal ein oder zwei Spiele mehr verlieren sollen, wenn dies dazu geführt hätte, dass man sich genauer hinterfragt. Man hat nun mal nicht jedes Mal glück und kann ein Spiel im 4. Qtr drehen und für sich entscheiden.
Auch wenn ich bisher stark auf die Offense eingeschlagen hat, sollte man auch die Leistung der Defense hinterfragen. Es wäre fatal, wenn wir uns von den Leistungen der letzten Spiele blenden lassen und alles gut bewerten. Gab es einen Aufwärtstrend? Ja, aber aus meiner Sicht war dieser nicht so stark, wie die nackten Zahlen es darstellen. Der Schedule kaschiert hier doch einiges.
Natürlich stellt sich nun die Frage, wie es weiter geht. Zuerst werden natürlich die Coaches hinterfragt und Köpfe gefordert. Ich kann das nachvollziehen und habe ehrlich gesagt mittlerweile auch meine Zweifel, ob Carroll die schwierigen Probleme lösen kann. Ich schreibe bewusst Carroll, da der Erfolg und Misserfolg bei ihm beginnt. Er hat absolut seine Stärken. So lieben es die Spieler für ihn zu spielen und die Energie, die er versprüht (siehe den Artikel von Dunlap). Doch hat er auch massive Schwächen, wie zum Beispiel im Gamemanagement. Letztendlich ist es auch seine Philosophie, die von den Coordinatoren ausgeübt wird. Daher bezweifle ich auch, dass die Entlassung von Schottenheimer alle Probleme lösen würde. Die Probleme sind nicht (nur) bei ihnen festmachen. Sie gehen tiefer und ich bin mir nicht sicher, dass eine weitere Küchenkraft in einer Küche, in der bereits viele Küche kochen wollen, DIE Lösung darstellt.
Aus diesem Grund muss man eine tiefgehende Analyse betreiben und alle Probleme auf den Tisch bringen. Denn eines ist klar: Zum größten Teil wird das Team, welches gestern Abend auf dem Feld stand, auch im September 2021 in die neue Season starten.
Wenn wir auf das verfügbare Kapital in Form von verfügbaren Salary Cap und Draft Picks schauen, sieht die Situation nicht besonders rosig, aber auch nicht katastrophal aus. Dass sie angespannt ist, steht allerdings außer Frage.
Aktuell gehen wir davon aus, dass der Cap in 2021 bei 176 Mio Dollar liegen wird. Sollte dieser doch höher liegen hat man entsprechend mehr Spielgeld zur Verfügung.
Zurzeit haben die Seahawks rund 17,5 Mio Dollar zur Verfügung. Das hört sich erstmal ok an. Damit liegt man auch ziemlich in der Mitte der Liga und ist schon mal etwas besser dran als so manch andere Teams, die teilweise hoch über dem Cap liegen. Allerdings muss man aus Seahawks-Sicht auch betrachten, dass man nur 34 Spieler für 2021-Season aktuell unter Vertrag hat. Füllt man den Kader auf 51 Spieler mit Minimum-Gehälter auf, steht dem Seahawks FO nur noch rund 6,3 Mio zur Verfügung. Das ist nicht viel.
Da der Salary Cap aber durchaus manipulierbar ist, kann man hier durchaus noch mehr Cap Space rausquetschen. Vorzeitige Vertragsverlängerungen, Restrukturierungen oder Entlassungen machen es möglich. Folgende Optionen bieten sich dafür zum Beispiel an:
LT Duane Brown hat einen Cap-Hit von 13.35 Mio und einen Base-Salary von 10 Mio. Sollte er noch weiterspielen wollen, könnte man durch eine Vertragsverlängerung etwas Geld freischaufeln.
Quandre Diggs (5,5 Mio), Jamal Adams (9,86 Mio), Tyler Lockett (12,5 Mio) oder Carlos Dunlap (14,1 Mio) wären weitere Spieler, bei denen man durch Vertragsverlängerungen den Cap-Hit in 2021 reduzieren könnte. Da Russell Wilson nirgendswo hingehen wird, könnte man auch hier einen Teil seines 19 Mio Base Salary umwandeln und auf die kommenden Jahre verteilen. Die Hoffnung auf einen steigenden Cap könnte dem FO hier zugutekommen. Natürlich muss man bei diesen Moves immer erwähnen, dass man diese nicht umsonst bekommt. Die Rechnung kommt nur später - ein Gruß an die Saints und Patriots.
Eine positive News zu unseren eigenen Free Agents: Unsere UFA sind überschaubar und aus meiner Sicht gibt es nur wenige Kandidaten, die ich nur sehr ungern abgeben würde:
K.J. Wright | LB | UFA |
Greg Olsen | TE | UFA |
Bruce Irvin | LB | UFA |
Quinton Dunbar | CB | UFA |
Jacob Hollister | TE | UFA |
Benson Mayowa | EDGE | UFA |
Carlos Hyde | RB | UFA |
Mike Iupati | LG | UFA |
Cedric Ogbuehi | RT | UFA |
Neiko Thorpe | CB | UFA |
Geno Smith | QB | UFA |
Ethan Pocic | LG | UFA |
Luke Willson | TE | UFA |
Nick Bellore | FB | UFA |
Phillip Dorsett | WR | UFA |
Branden Jackson | EDGE | UFA |
Josh Gordon | WR | UFA |
Damarious Randall | S | UFA |
Jonathan Bullard | DT | UFA |
Damontre Moore | DT | UFA |
David Moore | WR | UFA |
Shaquill Griffin | CB | UFA |
Delano Hill | S | UFA |
Chris Carson | RB | UFA |
Stephen Sullivan | SFA | |
Bo Scarbrough | SFA | |
Shaquem Griffin | LB | RFA |
Chad Wheeler | RT | RFA |
Jordan Simmons | LG | RFA |
Poona Ford | IDL | RFA |
Ryan Neal | CB | ERFA |
Bryan Mone | IDL | ERFA |
Linden Stephens | CB | ERFA |
Kyle Fuller | LG | ERFA |
Jayson Stanley | CB | ERFA |
Patrick Carr | RB | ERFA |
Im Grunde genommen sind aus meiner Sicht nur LB K.J. Wright und CB Shaquill Griffin die Free Agents, bei denen ich eine Verpflichtung begrüßen würde. Allerdings nicht um jeden Preis. Mit Abstrichen würde ich Mayowa als Role-Player und Chris Carson mit in die Liste aufnehmen. Insbesondere bei Carson hoffe ich auf ein besonnenes Agieren. Er ist ein guter Running Back, der unserer Offense während der Season durchaus gefehlt hat. Das ist aber auch ein Punkt: Carson war zu häufig verletzt, um ihn teuer zu bezahlen. Ich würde Carson den Markt testen lassen und nur zu bestimmten Bedingungen erneut verpflichten.
Alle weiteren UFA sehe ich nicht zwingend in Seattle. Pocic wäre ggf. nicht verkehrt, aber wenn ihn ein Team bezahlen möchte, soll es das gerne tun.
Alles RFA, ERFA und SFA bleiben in Seattle, sofern das FO dies möchte. So müssen wir uns um den Verbleib von Neal, Mone, Ford und Sullivan keine bzw. nur bedingte Sorgen machen.
Somit kann man mit Blick auf die FA durchaus sagen, dass man kaum wichtige Spieler verlieren wird bzw. man sollte die Mittel haben, um diese zu halten. Das ist noch die gute Nachricht.
Die schlechte Nachricht ist, dass man kaum Mittel zur Verfügung hat, um das Team wesentlich zu verbessern. Seattle wird nicht in der Lage sein, um teure FA’s oder Superstars, so wie es Wilson in der letzten Offseason gefordert hat, mitzubieten. Gut, das war bisher noch nie das Kredo des FO’s.
Dabei gäbe es genug Positionen, die man adressieren sollte. Man braucht zum Beispiel mehr Tiefe auf der CB-Position, einen 3. Receiver für den Slot oder Z-Position, man muss sich Gedanken um die Position des Centers machen und wir brauchen einen mittelfristigen Plan für die Position des LT (Brown wird nicht ewig spielen). Die Aufzählung könnte man durchaus noch erweitern. So sollte man auch den Pass-Rush nicht außer acht lassen.
Von Vorteil könnte es sein, dass wir auf eine sehr ungewöhnliche Offseason und FA-Phase zu steuern. Viele Teams haben Cap-Probleme und stehen intern vor den gleichen Herausforderungen. Das heißt: Es werden noch einige Spieler auf den Markt, die derzeit in keiner FA-Liste auftauchen. Zudem werden nicht viele Teams als Buyer auftreten können. Das könnte für Seattle trotz des erstmal geringen Cap-Space von Vorteil werden. Kann, muss aber nicht.
Über das Thema Draft habe ich bisher noch kein Wort verloren. Auch sieht es mit Verstärkung eher schwierig aus. Aktuell verfügen die Seahawks über nicht allzu viel Draftkapital:
2nd Round Pick
4th Round Pick
5th Round Pick
6th Round Pick
John Schneider wird hier wieder zaubern müssen, um die Quantität zu erhöhen. Wenn man möchte, könnte man DE Darrell Taylor, unseren 2nd Round Pick aus 2020 noch als weiteren Rookie schon berücksichtigen, da er in diesem Jahr keinen einzigen Snap absolvierte.
Fazit:
Wie bereits erwähnt, wird es vermutlich zu weiten Teil das Team von gestern Abend sein, welches im September wieder für die Seahawks auflaufen wird. Die Hoffnung auf Verstärkung von Außen in Form von Impact-Player ist gering bzw. kaum vorhanden. Auch mit Blick auf den Coaching Staff ist es sehr unwahrscheinlich, dass es zu gravierenden Veränderungen kommen wird. Selbst wenn es diese geben sollte, ist das kein Allheilmittel. Die Probleme und Ursachen in der Offense und auch in der Defense gehen tiefer. Es gibt nicht nur das eine Probleme. Es ist ein Verbund von Problemen. Ein Austausch eines Kopfes wird dieses nicht lösen.
Umso wichtiger ist es, dass man nun in die Analyse geht, ehrlich zu sich selber ist, sich kritisch hinterfragt und daraus die richtigen Schlüsse sieht. Leider bin ich nach gestern und der 2. Hälfte dieser Season skeptisch, dass man dies in voller Gänze tun wird.