Ich bin mit der Draft zunächst einmal sehr zufrieden. Die Chiefs bekommen trotz der naturgemäß niedrigen Picks als SB-Champion praktisch überall gute bis sehr gute Grades für ihre Draft-Klasse. Bislang habe ich nichts schlechteres als „B+“ gesehen. Zum Teil landen sie sogar unter den Top 3. Trotz aller Hoffnungen muss man sich aber immer wieder klar machen, dass es nur Talente sind, keine fertigen Spieler. Längst nicht jeder wird die Erwartungen – geschweige denn die Hoffnungen – erfüllen.
Die Chiefs hatten zwei Draft-Day-Trades, jeweils um in der ersten bzw. zweiten Runde geringfügig nach oben zu kommen:
Trade 1: Chiefs tauschen #32 (Erstrundenpick), #95 (Drittrundenpick) und #221 (Siebtrundenpick) für #28 (Erstrundenpick), #133 (Viertrundenpick) und #249 (Siebtrundenpick) der Bills
Trade 2: Chiefs tauschen #64 (Zweitrundenpick) und #173 (Fünftrundenpick) gegen #63 (Zweitrundenpick) und #211 (Sechstrundenpick) der 49ers
Da die Trades jeweils die gleiche Anzahl an Picks zum Gegenstand hatten, blieben die Chiefs insgesamt bei 7 Draftpicks. Ich habe mal ein paar Informationen zusammengestellt, wobei ich mich bei differierenden Angaben zu den körperlichen Maßen im Zweifel an die Daten von nfl.com gehalten habe:
1-28 Xavier Worthy, WR, Texas
5‘11‘‘, 165 lbs, 31 1/8‘‘ Arme und 8 ¾‘‘ Hände
Worthy erzielte schon als Freshman 981 yards und 12 TDs. Diese Zahlen konnte er zwar nicht wiederholen, erzielte aber immerhin auch insgesamt die drittmeisten TDs (nach divergierenden Angaben 24 bzw. 26) in der Longhorns-Geschichte. Die etwas nachlassende Produktivität könnte dabei durchaus auf die QB-Leistungen zurückzuführen sein. Er war 3rd Team All American und zweimal im All-Big 10 Team.
Herausragend ist seine geradezu legendäre Geschwindigkeit: Bei der Scouting Combine stellte er mit 4,21 s über 40 yards einen neuen Rekord auf, wobei er sowohl explosiv (1,49 s über 10 yards) ist als auch über eine sehr hohe Endgeschwindigkeit verfügt. Auch seine Sprung-Werte waren nicht zu verachten. Insgesamt kam er auf einen RAS-Score von 9,41. Daneben wird auch sein Ball Tracking besonders gelobt. Laufrouten und Fangsicherheit sind okay/gut, aber nicht überragend. Er soll allerdings „smart“ und „coachable“ sein. Es wird erwartet, dass er sowohl tief gehen als auch die Sorge vor seiner Geschwindigkeit für crossing routes und yards after catch („run-after-catch talent“) nutzen kann. Ein Fragezeichen steht hinter seiner „Durability“, denn er ist sehr schmal gebaut, so dass man sich unsicher ist, ob er mit einem „High catch volume“ zu Recht käme. Auf der anderen Seite hat er am College kein Spiel verpasst.
Körperlich und von seiner Spielweise her wird er mit Marquise „Hollywood“ Brown vergleichen. "Separation" dürfte hoffentlich kein großes Problem sein, aber viele contested catches dürfen wir von ihm nicht erwarten.
Worthy wurde von vielen erst in der ersten Hälfte der zweiten Runde erwartet. So gesehen war seine Auswahl am Donnerstag wie ein vorweggenommenes Geburtstagsgeschenk – am Samstag wurde er 21. Gleichwohl wird der Pick praktisch nirgends kritisiert (gewisse Skepsis bei Adrian Franke), weil sich alle einig sind, dass er perfekt zu den Chiefs und QB Mahomes passt. Die Chiefs halten so große Stücks auf ihn, dass sie wohl auch noch höher getradet hätten, aber lange keinen Trade-Partner gefunden haben.
Worthy ist kein besonders sicherer Pick, aber wenn er einschlägt, könnte er gerade an der Seite von Mahomes zu einem Top-WR der NFL werden.
2-63 Kingsley Suamataia, OT, BYU
6‘5‘‘, 326 lbs, lange Arme (34 ¼‘‘), große Hände (10 5/8‘‘)
Suamataia ist ebenfalls erst 21 Jahre alt, was für einen O-Liner extrem jung ist. Er ist der Cousin von Lions-RT Penei Sewell.
Suamataia war zunächst Redshirt Freshman bei Oregon, bevor er zu BYU transferierte. Er spielte zunächst RT und dann 2023 auf LT.
Suamataia gilt als physisches „Monster“ („a mountain“). Er ist sehr groß, extrem stark („raw strength, core power“) und ungeheuer athletisch, was auch durch seinen RAS-Score von 9,38 (#83 unter 1.330 OTs seit 1987) unterstrichen wird. Bei der Combine kam er trotz seiner langen Arme auf 31 Wiederholungen beim Bankdrücken. Er ist explosiv und mobil („easy mover“) und verfügt über nahezu grenzenloses Potential („incredibly-high ceiling“, „potentially-dominant run blocker“, potentieller „lockdown left tackle“). Angesichts seines Alters verwundert es nicht, dass er noch kein „fertiger“ Spieler ist („everything is a work in progress“), sondern vor allem technisch (z. B. Hand Placement, Punch, Fußarbeit) noch einiges lernen und mehr Konstanz entwickeln muss. Aber die Umstände, dass er bereits auf beiden Tackle-Positionen gespielt hat, und lediglich 24 QB-Pressures bzw. 2 Sacks bei 701 pass-blocking snaps über 2 Jahre zugelassen hat, lassen erahnen, was in ihm steckt. Viele hatten ihn schon am Ende der ersten Runde erwartet, so dass die Chiefs hier trotz des uptrades günstig zum Zuge kamen. Unklar ist aber, wie schnell er sein Potential entfalten kann. Manche sehen in ihm schon den potentiellen Starter auf LT, andere erwarten, dass er erst einmal ein Jahr lang lernen müsse. Jedenfalls ist er ein direkter Konkurrent für den letztjährigen Drittrundenpick Wanya Morris.
4-131 Jared Wiley, TE, TCU
6‘6‘‘, 249 lbs, lange Arme (33 ¼‘‘), große Hände (9 ½‘‘ )
Wiley spielte an der Highschool zunächst QB, später TE, dann wieder QB. Für die Colleges war er dann wieder ein TERecruit. Nach drei ereignisarmen Jahren bei Texas (2019-2021) transferierte er zu TCU, wo er in zwei Jahren (2022-2023) auf 71 receptions/765 yards und 12 TDs kam, wobei er 2023 durchgängig Starter und Teamp Captain war (47 Catches für 250 yards und 8 TDs, 1st Team All-Big 12).
Wiley ist relativ alt und wird zu Beginn der Rookie-Saison bereits 24 sein. Er ist sehr groß und athletisch („high-level athlete“), was erneut durch einen RAS-Score von 9,3 (#85 von 1199 TEs seit 1987) untermauert wird. Er gilt als „move“ Tight End und hat unfassbar sichere Hände (1 drop in 120 Targets über seine gesamte College-Karriere). In 2023 waren seine 8 TDs zugleich die meisten eines TEs. Ihm wird einhellig erhebliches Potential als Passempfänger bescheinigt (gute Geschwindigkeit, „functional quickness“), wobei die Meinungen über seine Fähigkeiten nach dem Passfang auseinander gehen. Allzu harte Cuts sind angesichts seiner Größe nicht zu erwarten. Dennoch hat er Big Play Potential und könnte auch schnell zum Target in der Red Zone werden.
Wieder einmal hofft man bei den Chiefs, einen Nachfolger für Travis Kelce gefunden zu haben. Viele hatten ihn höher erwartet – zum Teil wurde er als zweitbester TE der Draft-Klasse einsortiert. Vor diesem Hintergrund haben die Chiefs einen sehr talentierten Spieler zu einem relativ späten Zeitpunkt eingesammelt.
Demgegenüber sind trotz seiner enormen Physis die Angaben zu seinen Fähigkeiten als Blocker sehr uneinheitlich, tendenziell aber positiv – jedenfalls hat er die körperlichen Voraussetzungen für einen guten Blocker.
4-133, Jaden Hicks, S, Washington State
6‘2‘‘, 211 lbs, 31 ½‘‘ Arme, 9 3/8‘‘ Hände
Hicks war seit 2022 Starter. Er wurde sukzessive in immer mehr Funktionen eingesetzt und hat sich in zunehmender Vielseitigkeit bewährt. 2023 kam er auf 6 TFL, 2 INT und 6 Pass Breakups, was ihm immerhin das All-Pac-12 Honorable Mention Team einbrachte.
Hicks verfügt leider nicht über besonderen Top Speed (4,50 s über 40 yards), aber immer noch im oberen Bereich. Angesichts ausgeprägter „football instincts“ bescheinigt man ihm ausreichende Geschwindigkeit für tiefe Aufgaben. Zudem weist er die nötige „toughness“ für das Spiel nahe der LOS auf. Auch Hicks ist erst 21 Jahre alt. Er ist ein verhältnismäßig großer DB mit eher solider Athletik. Hicks ist ein harter Hitter, hat für einen DB überdurchschnittliche „ball skills“ und gilt als sehr intelligent. Trotz seiner nicht überragenden Geschwindigkeit wurde er teilweise als „best cover safety in the draft“ und eines der größten Safety-Talente der Klasse bezeichnet. Viele hatten ihn Ende der 2./Anfang der 3. Runde erwartet, weswegen die Chiefs auch hier spät noch viel Value mitnehmen konnten. Hicks könnte auch früh in den Special Teams eingesetzt werden und ggf. Mike Edwards oder perspektivisch Justin Reid ersetzen.
5-159, Hunter Nourzad, OL, Penn State
6‘3‘‘, 317 lbs, lange Arme (33 1/8‘‘), extrem große Hände (10 ¾‘‘)
Nourzad spielte an der Highschool als Center, blieb aber ein Zero-Star-Recruit. Er konzentrierte sich zunächst auf die akademische Ausbildung (Cornell, Ivy League) und arbeitete sich ins Football-Team. Er spielte vier Jahre bei Cornell (20 Starts in Folge als RT von 2018 bis 2021) und erlangte dort seinen Abschluss als Ingenieur. Dann transferierte er zu Penn State, wo er zunächst 2022 als Guard ins All-Big Ten Team gewählt wurde. 2023 wurde er dann als Center eingesetzt und erreichte das 2nd All-Big Ten Team. Aufgrund dieser langen Entwicklung ist er schon relativ alt und wird als Rookie 25 sein. Nicht nur aus Altersgründen ist er der verhältnismäßig reifste Draftpick. Ihm wird bereits eine relativ gute Technik bei hoher Spielintelligenz und Vielseitigkeit attestiert. Er hat bislang seine Stärken eher im Run Blocking Seine Schwächen sind mangelnde Power und Athletik, so dass er vermutlich viel Zeit im Kraftraum verbringen muss. Dennoch hat er aufgrund seiner guten Technik vermutlich den höchsten „floor“ und könnte wohl notfalls sofort spielen, weswegen auch er als value-pick gilt. Nach dem Abgang von Allegretti könnte Nourzad in seiner Rookie-Saison dessen Rolle als Backup Interior Lineman einnehmen. Bei günstiger Entwicklung kann er auch von mehr träumen, zumal die Verträge von C Humphrey und RG Smith nach der 2024er Saison auslaufen.
6-211 Kamal Hadden, CB, Tennessee
6‘1‘‘. 106 lbs, 30 7/8‘‘ Arme, 8 ½‘‘ Hände
Hadden spielte zunächst am Junior College und transferierte dann dann (nach zwischenzeitlichem Commitment zu Auburn) zu den Volunteers, wo er seit 2019 spielte. Er ist ein großer, physischer CB mit überdurchschnittlicher Athletik. Er ist explosiv, aber ihm fehlt eine hohe Endgeschwindigkeit. Er spielt sehr nah am Gegner, ist aber auch ein wenig „grabby“. Leider war er am College verletzungsanfällig (16 Spielen in 3 Jahren verpasst, darunter die letzten 6 in 2023 aufgrund einer Schulter-Operation im Oktober), aber dennoch sehr produktiv (6 INTs und 5,5 Sacks sowie 18 Pass Breakups in 3 Jahren). Nach dem Coverage Grade von PFF wäre er der fünftbeste CB der Klasse. Er wurde meist als Outside Corner eingesetzt, ist aber durchaus vielseitig. Seine herausragende Fähigkeit besteht in hervorragendem "ball tracking": Wenn der Ball in der Luft ist und Hadden irgendeine Chance hat, eine Hand an den Ball zu bekommen, wird ihm das auch gelingen. 2023 spielte er 184 coverage snaps, wobei er ledigilch 12 catches zuließ, aber auch 11 Mal den Ball wegschlagen konnte.
Neben seiner Verletzungsanfälligkeit stehen aber auch hinter seiner Geschwindigkeit, seinem bislang äußerst schwachen Run Support und potentiell mangelnder charakterlicher Reife („maturity“) gewisse Zweifel. Aber in der Entwicklung von DBs haben die Chiefs in den letzten Jahren viel Erfolg gehabt – und Leadership ist im Locker Room vorhanden. Rein vom Talent her ist auch Haden ein Value Pick.
7-248, C. J. Hanson, G, Holy Cross
6‘5‘‘, 300 lbs, 32 3/8‘‘ Arme, 9 3/8‘‘ Hände
Hanson ist football-technisch ein Spätstarter. Er war nur ein Jahr Starter an der High School und spielte dann an einer kleinen Uni, wo er drei Jahre Starter auf RG war (38 Starts). Er war zweimal im 1st All-Patriot League Team (2022 und 2023) und hat in 1.027 Pass Blocks gerade einmal einen Sack zugelassen. Das muss man aber natürlich dahingehend relativieren, dass er praktisch keine Erfahrung gegen Top-Level-Competition gesammelt hat. Er hat schnelle Füße und bewegt sich gut im Open Field. Seine unglaublich athletischen Testergebnisse bei der Combine (u. a. RAS-Score von 9,84, womit er #26 unter 1.583 Guards seit 1987 ist) dürfte ihm den Draftpick eingebracht haben. Er dürfte ein „Project“ sein, muss an Muskelmasse zulegen und sich erst einmal seinen Platz im Kader erkämpfen.