Ich arbeite eng mit Betriebsräten und Gewerkschaften und muss sagen dass das Gefühl der Belegschaft dass beide nichts bzw. zu wenig tun weit verbreitet ist. Ich sehe allerdings dass da meistens wirklich hart gerungen wird und finde es ein Positivbeispiel dass es auch heute noch Gegenseiten gibt, die sich zusammen an einen Tisch setzen und miteinander eine Lösung finden, die für beide vertretbar sind. Ich verstehe total dass sich Arbeitnehmer mehr Klassenkampf wünschen, als Deals im Hintergrund, aber unterm Strich lässt sich sagen, dass Mitbestimmung auch weiterhin sehr gut funktioniert. Empfehle dazu die Studien und Beiträge der Hans-Böckler-Stiftung (Ja, DGB-Organisation, aber trotzdem interessant).
In den Ergebnissen ist es ähnlich wie in der aktuellen Politik. Es wird mehr darum gerungen das schlimmste zu verhindern, als dass es progressive Schritte nach vorne gibt. In Österreich ist die Reaktion der Arbeitgeber auf Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung die Forderung nach mehr Arbeit (analog die Forderungen in Deutschland nach Privilegien für Überstunden). Das ist trotz aller Offensichtlichkeit ein kluger Schachzug um sich hinzustellen und perspektivisch den Status quo als Kompromisslösung zu verkaufen. Dazu kommt dass auf die Gewerkschaften medial eingedroschen wird, wenn sie die frechheit besitzen höhere Abschlüsse zu fordern. Die Medienlandschaft ist qua Struktur arbeitgebernah aufgestellt. Da herrscht dann immer der Tenor, dass die deutsche Wirtschaft zu Grunde geht, wenn man die Löhne erhöht, weniger Arbeitszeit einführt oder mehr Urlaub gibt. Und das Schreckgespenst der Lohn-Preis-Spirale ist das Totschlagargument das jeder Hobbyökonom übernimmt um jeden Prozentpunkt Lohnforderungen abzulehnen. Und dann entwickeln sich die Reallöhne nunmal so wie sie das tun und die Gewerkschaft hat einen schweren Stand weil man nicht mehr das Gegengewicht darstellt wie in früheren Zeiten, weil die Leute immer weniger verstehen warum sie da noch dabei bleiben sollen (die alten gehen in Rente, die jungen nehmen vieles als gegeben hin, was errungen wurde) und mit jedem Mitglied weniger verstärkt sich dieses Ungleichgewicht. Und dass die Gewerkschaften auch politisch inzwischen weniger Verbündete haben setzt dem ganzen noch die Krone auf. Unsere Mitbestimmung ist in Gefahr und wenn das Verständnis einer Solidargemeinschaft endgültig flöten geht, weil jeder sich nur fragt was springt für mich persönlich dabei raus, sieht es düster aus. Dann braucht man sich aber nicht hinstellen und sagen, dass man von der Gewerkschaft enttäuscht ist.
Sorry für den rant ![smile :)](https://nfl-talk.net/wcf/images/smilies/emojione/263a.png)