Scheiß aufs Völkerrecht!
Bitte verstehen Sie mich richtig falsch.
Ich finde die Idee des Völkerrechts schon eine schnuckelige Sache. Insbesondere das Kriegsvölkerrecht. Es ist eine wunderbare und nötige Idee, einen allgemeingültigen moralischen Kompass in die Welt zu bringen. Unperfekt, aber ein lohnenswerter Versuch allemal.
Aber Sie werden nie erleben, dass ich das Kriegsvölkerrecht benutze, um irgendetwas zu begründen. Um irgendetwas zu rechtfertigen oder zu delegitimieren. Niemals.
Ich verwende es höchstens, um andere zu widerlegen. Um aufzuzeigen, dass vieles eben doch viel komplizierter ist.
Beispielsweise indem ich auf den Art. 23 des Genfer Abkommens über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten verweise, der sagt, dass eine Kriegspartei eben auch humanitäre Hilfe blockieren darf. Oder die Caroline-Kriterien, die zeigen, dass ein Präventivschläg auch rechtskonform sein kann.
Womit ich ein Problem habe ist, dass das Völkerrecht instrumentalisiert wird.
Es wird als Ende der moralischen Leiter verwendet, als Endpunkt der Menschheitsentwicklung, als Totschlagargument.
Was es schwer macht, vernünftig darüber zu diskutieren. Da wenig informierten Menschen ein falsches Bild vermittelt wird. Häufig wird so getan, als sei das Kriegsvölkerrecht so etwas wie das Strafgesetzbuch.
Ein aktuelles Beispiel.
Angenommen irgendwann, sagen wir realistisch in fünf bis zehn Jahren, kommt der Präventivschlag Israels gegen den Iran vor den Internationalen Gerichtshof der UN. Und weiter angenommen, das Gericht kommt nach weiteren fünf Jahren zu dem Schluss, der Präventivschlag Israels habe gegen das Kriegsvölkerrecht verstoßen. Wissen Sie, was dann passiert?
Genau gar nichts.
Der IGH kann nämlich niemanden bestrafen.
Der IGH ist ein politisches Instrument. Um diesen moralischen Kompass, auf den die Mitglieder sich angeblich geeinigt haben, zu verteidigen. Um einen Standpunkt einzunehmen. Aber mehr nicht.
Sicher, wenn einzelne Menschen dagegen verstoßen und Kriegsverbrechen begehen, können sie dafür bestraft werden. Beispielsweise von dem Staat, für das sie das Kriegsverbrechen begangen haben. Oder vom IStGH, der nicht zur UN gehört.
Aber wenn ein Staat sagt „Mäh, scheiß doch drauf“ gibt es keine Möglichkeit, es durchzusetzen.
Es ist ja nicht nur so, dass es einen Haftbefehl gegen Netanjahu und Galant gibt. Übrigens wegen der ersten Blockade, nicht wegen Genozids oder der letzten Blockade. Es gibt auch Haftbefehle gegen Putin und die liebevolle Kindesentzieherin Marija Lwowa-Belowa.
Wenn die Staaten sich nie dem IStGH unterworfen haben, passiert da auch wenig. Und wenn andere Staaten die dann nicht einmal verhaften wollen, passiert noch weniger.
Das zweite Problem ist, dass inzwischen über die Hälfte der UN-Mitgliedsstaaten keine Demokratien sind.
Das bedeutet, dass über die Hälfte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit selber nicht an das Völkerrecht, besonders das Kriegsvölkerrecht, oder beispielsweise die Menschenrechte hält.
Russland, eine Vetomacht im UN-Sicherheitsrat, bricht das Recht, als würde es am verkaufsoffenen Sonntag die Ikea-Kantine wegen kostenloser Köttbullar stürmen. Die seit einem dreiviertel Jahrhundert andauernde Situation der Übernahme Tibets durch China ist auch nicht geklärt. Da will aber auch keiner bei. Der festgestellte Völkermord an den Rohingya wird seit sechs Jahren vor dem IGH diskutiert, ohne jegliche Auswirkungen auf Myanmar. Im Jemen und im Sudan sind Millionen Menschen auf der Flucht und unterernährt, niemanden interessiert es.
Als 1994 knapp eine Million Tutsi mit Knüppeln und Macheten erschlagen, zum Inzest und Kannibalismus gezwungen und gepfählt wurden, wissen Sie, was die UN gemacht hat? Sie hat die Blauhelme abgezogen. Weshalb der kommandierende kanadische Generalmajor Dallaire in der Folge zweimal versucht hat sich umzubringen, weil er gewarnt und niemand gehört hat und weil er zehn seiner über 2000 Männer nicht retten konnte.
Ich habe ein Problem damit, wenn Menschen das Völkerrecht und die Menschenrechte instrumentalisieren, um jene zu verteidigen, die sich nicht an eben jene Rechte nicht.
Oder, um genau zu sein, eigentlich habe ich kein Problem damit, es löst eine selbst mich überraschende Gleichgültigkeit aus. Unterbrochen von anekdotischer Fassungslosigkeit, wie viele Antifaschisten faschistische Systeme unterstützen, Queere das Aufhängen von Schwulen an Baukränen und Feministinnen Gesellschaftmodelle, in denen es keine Geschlechtergleichheit gibt und Frauen auch mal bis zur Hüfte eingegraben und zu Tode gesteinigt werden.
Die grundlegende Frage ist, ob diese Rechte auch für jene gelten sollen, die sie nicht beachten. Mehr noch: Die ganz offen gegen unsere „westlichen“ Werte sind. Ersonnen in den Juratempeln aus Marmor im friedensverwahrlosten Europa. Viele sind aufgelistet in der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam von 1990, alle nach wie vor Mitglieder der UN.
Es ist eine moralische Frage. Die ich nur für mich selber beantworten kann. Bei der ich zu dem wohlweislich überlegten, abgewogenen und an Empirie gemessenen Schluss komme:
So lange Ihr keine realistische Möglichkeit aufzeigt, wie Israel seine Existenz verteidigen soll, scheiße ich auf das Völkerrecht, das Ihr mir hier gerade verkaufen wollt.
Quatscht mich einfach nicht voll, Ihr Windelköppe und Hodenkobolde.