Lieber Gott,
kennst Du – ach, lassen wir den Quatsch. Natürlich kennst Du mich inzwischen; schließlich hab ich Dir in den letzten zwei Wochen oft genug in den Ohren gelegen. Und dass ich das jetzt noch ein letztes Mal tun muss, da hast ja irgendwie selber Schuld dran. Danach, das verspreche ich hoch und heilig, hast Du Ruhe vor mir und kannst Dich bald wieder den fruchtlosen Eagles-Hilferufen unseres Predigers widmen 
Es ist also geschafft – Jogi´s Bäckerburschen stehen im Finale. Nun hast Du ja schon immer ein Händchen dafür gehabt, uns in EM-Endspielen einen mehr oder weniger blonden Engel zu schicken, der das Spiel entscheidet. Mal für uns – wie 1972 der geniale Spielmacher Günter Netzer aus der Tiefe des Raumes, 1980 das Kopfball-Ungeheuer Horst Hrubesch und 1996 den smarten Olli Bierhoff. Mal leider auch gegen uns, wie 1976 Uli Hoeneß, der Dir offenbar beim Elferschießen einen Ball schenken wollte; so hoch, wie er ihn gen Himmel gejagt hat. Und nun laufen bei unserer Truppe gleich mehrere Blonde rum, die´s entscheiden könnten - der Podolski, der Schweinsteiger, der Hitz mit dem Hammer… das wär doch ein Ansatz 
Ich ahne allerdings, oh Herr, dass wir gegen diese Spanier mehr als nur einen Engel brauchen werden, um zu bestehen. Wie die im Halbfinale gegen Russland gezaubert haben, das war schwer beeindruckend. Allerdings haben die Russen auch meist nur dabei gestanden und staunend zugeschaut, was die da so veranstalten. Ein Augenschmaus, wenn die Herren Iniesta, Xavi, Silva und Fabregas richtig in´s Rollen kommen. Mit Grausen denke ich daran, was ein Fernando Torres wohl mit Hagrids kleinem Bruder in der Innenverteidigung veranstalten wird. Zwar hast Du uns die vermeintliche Gnade erwiesen, dass der Villa vermutlich fehlen wird. Aber da gibt´s ja auch noch den Grüezi, äh - Güiza, und der ist immerhin Torschützenkönig in Spanien. Dazu die bärenstarke Verteidigung. Gegen einen Marchena wird es selbst ein so kopfballstarker Stürmer wie unser Miro sehr schwer haben. Sergio Ramos, so befürchte ich, wird unseren Kampfzwerg Lahm so sehr beschäftigen, dass der Kleine wenig Gelegenheit für seine gefürchteten Vorstößen haben wird. Und im Tor steht mit Iker Casillas auch noch einer der Besseren seiner Zunft, so dass wir auf eine milde Gabe wie den Patzer von Rüstü da wohl eher nicht hoffen dürfen. Dazu kommt noch, dass es sich mit den Spaniern ähnlich verhält wie mit den Portugiesen, was die vielen Heiligen betrifft, die um Beistand angefleht werden. Und als Sahnehäubchen noch das Selbstvertrauen, das man nun mal hat, wenn man seit 21 Spielen ungeschlagen ist.
Ach Herr - wie soll denn die Mannschaft, die sich gegen die tapferen Osmanen so rumpelig und glücklich durch gesetzt hat, gegen diesen iberischen Fußball-Goliath bestehen können? Ich sag´s Dir - gar nicht kann sie das. Aber die Mannschaft, die uns gegen Portugal so erstaunt, ja verzückt hat, die kann das. Mit einem Lehmann, der sich den Ball packt, statt abzuwarten, wo hin er kullert. Mit einer Innenverteidigung, die den Gegner am Torschuss hindert, statt stets einen Schritt zu spät zu kommen. Mit einem Lahm, der seinem Gegenspieler den Ball ab läuft, statt sich eindrehen zu lassen. Mit einem Friedrich, der dazwischen geht, statt Abseits zu reklamieren, wo kein Abseits ist. Mit einem Ballack, der wieder Chef statt Mitläufer ist. Und mit einem blonden Engel - und spätestens jetzt kommt Dein Beistand in´s Spiel, oh Herr - der an den spanischen Abwehrrecken vorbei schwebt und die Kugel in deren Gehäuse versenkt. Oder sie zumindest einem Mitspieler so auf legt, dass dieser uns jubeln lässt. Dann, und nur dann, reckt nach 72, 80 und 96 zum vierten Mal ein deutscher Mannschaftskapitän den Pokal gen Himmel, um Dir für den glorreichen Sieg zu danken. Das Ding ist zwar potthässlich, aber da den Heiligen Gral bisher noch keiner gefunden hat, nehmen wir es trotzdem högschd dankbar entgegen. Amen.
