Entwicklung bis 2009
Nennenswerte Erfolge der Chiefs liegen schon ein paar Jahre zurück. 1989 übernahm Marty Schottenheimer die Chiefs als eines der schwächsten Teams der Liga und führte sie in den Jahren 1990 bis 1997 sieben Mal in die Playoffs. Danach versuchten der ultra-konservative Gunther Cunningham (1999-2000) und der extrem offensivlastige Dick Vermeil (2001-2005) mit eingeschränktem Erfolg (insgesamt 50 Siege, 46 Niederlagen, eine Playoff-Teilnahme), an diese guten Jahre anzuknüpfen.
2006 übernahm Herman Edwards die schwere Aufgabe, ein überaltertes Team in den Umbruch zu führen, doch nach einer überraschenden Playoff-Teilnahme im ersten Jahr ging es in den folgenden Jahren – seit 2009 unter Todd Haley – in ein ‚Tal der Tränen’ für die Chiefs-Fans: In den vergangenen drei Jahren konnten insgesamt gerade einmal 10 Siege bei 38 Niederlagen (2007: 4-12; 2008:2-14; 2009: 4-12) erzielt werden. Dabei rangierte man zuletzt in nahezu allen offensiven und defensiven Statistiken – mit Ausnahme des Laufangriffs – im letzten Drittel aller NFL-Teams.
Auch wenn die letzte Saison (2009) – zugleich die erste unter dem aktuellen Headcoach und zugleich die erste ohne Star-TE Tony Gonzales – keine Offenbarung war, so kam es zumindest auf niedrigem Niveau zu einigen Verbesserungen: Die Anzahl der Siege wurde von 2 auf 4 verdoppelt und die Bilanz von 10 Sacks im Jahr 2008 (NFL-Minusrekord für eine volle Saison) immerhin auf 22 Sacks (immer noch der zweitschlechteste Wert der NFL) gesteigert. Nach der Entlassung von HB Larry Johnson blühte dessen Backup Jamaal Charles richtiggehend auf und katapultierte den Laufangriff der Chiefs immerhin noch auf Rang 11 der Liga. Viele Spiele waren lange Zeit spannend und gingen nur knapp verloren.
Hauptproblem blieb allerdings die Laufverteidigung (Rang 31 unter 32 Teams). Hinzu kamen Schwächen in der Offense Line (45 Sacks) und zahlreiche von den Receivern fallen gelassene Bälle (Drops), welche das Passspiel phasenweise komplett zum Erliegen brachten. Schließlich war das Return-Spiel geradezu unterirdisch.
Offseason 2010
Draft:
Eric Berry (1. Runde, S, 5-Jahres-Vertrag), Dexter McCluster (2, RB/WR, 4-Jahres-Vertrag), Javier Arenas (2, CB, 4-Jahres-Vertrag), Tony Moeaki (3, TE, 4-Jahres-Vertrag), Jon Asamoah (3, G, 4-Jahres-Vertrag), Cameron Sheffield (5, DE/LB, 4-Jahres-Vertrag), Kendrick Lewis (5, S)
Die Draft der Chiefs wurde sehr kontrovers beurteilt – die Einschätzungen der „Experten“ reichten von ‚brilliant’ bis ‚enttäuschend’. Wie so häufig wird eine abschließende Beurteilung erst in ein paar Jahren möglich sein.
Auffällig war, dass trotz der Probleme in O-Line und D-Line vorwiegend Spieler auf anderen Positionen verpflichtet wurden. So wählten die Chiefs mit Eric Berry den wohl besten verfügbaren Spieler, auch wenn die Position des Safetys in ihrer Bedeutung eher am unteren Ende der Skala steht. McCluster ist ein vielseitig einsetzbarer (RB, WR, in Trickspielzügen auch als Passgeber) und sehr explosiver Spieler, der auch als Returner eingesetzt werden kann. Letzteres gilt auch für Arenas, der vom Spielertyp her wie das defensive Spiegelbild von McCluster wirkt.
Von den übrigen Spielern, denen man wohl schon aufgrund ihrer Draft-Position mehr Zeit einräumen muß, hat bislang vor allem Lewis positiv überrascht. Auffällig ist zudem, dass sämtliche gedrafteten Spieler bis Ende Juli unter Vertrag genommen werden konnten – bei den Chiefs beileibe keine Selbstverständlichkeit – und dass voraussichtlich alle das Roster für die kommende Saison schaffen werden.
Free Agency:
Wichtigste Abgänge:
Eddie Kennison (WR, retired), Kolby Smith (RB, cut), Mike Brown (S, cut), Mike Goff (G, released)
Wichtigste Neuzugänge:
Thomas Jones (HB, Jets), Ryan Lilja (G, Colts), Casey Wiegmann (C, Broncos, 1-Jahres-Vertrag), Jerheme Urban (WR, Cardinals), Shaun Smith (DT, Bengals)
In der Offseason kam es zu keinerlei unfreiwilligem „Aderlass“ bei den Spielern. Insbesondere konnte WR Chris Chambers (3-Jahres-Vertrag) gehalten werden. Bekannteste Entlassungen waren S Mike Brown und G Mike Goff, die beide die Erwartungen nicht erfüllen konnten und vermutlich ihre Karrieren notgedrungen beenden werden.
Mit Thomas Jones hat der drittproduktivste HB der AFC in der abgelaufenen Saison den Weg nach Missouri gefunden. Lilja und „Heimkehrer“ Wiegmann waren bei ihren Teams Starter; mit ihrer Verpflichtung wurde zugleich das Problem der schwächelnden O-Line in Angriff genommen. Urban und Smith – letzterer die einzige nennenswerte Neuverpflichtung im Bereich der D-Line - waren bei ihren Teams lediglich Backups.
Aktuelle Einschätzung der einzelnen Mannschaftsteile:
(Anmerkung: Fett gedruckt sind die wahrscheinlichen Starter, unterstrichen die wahrscheinlichen Backups, kursiv gedruckt sind Wackelkandidaten, einfach gedruckt die sonstigen aktuell auf dem Roster befindlichen Spieler)
Offense
QB: Matt Cassel, Brodie Croyle, Tyler Palko
Cassel blickt nach seinem Durchbruch bei den Patriots im Jahr 2008 auf eine bestenfalls durchwachsene erste Saison als Starter bei den Chiefs zurück. 16 TDs bei 16 INTs konnten ebenso wenig überzeugen wie eine Completion-Ratio von 55 % oder 5,9 yards pro Paßversuch.
Allerdings waren seine Leistungen zumindest nicht ganz so schlecht, wie es nach diesen Statistiken den Anschein hat. Denn diese sind zu einem erheblichen Teil auf schwache Leistungen seiner Mitspieler zurückzuführen. Einerseits litt er unter einer relativ schlechten Pass-Protection durch die Offense Line, die sich mit 45 erlaubten Sacks einen unrühmlichen sechsten Platz in der NFL sichern konnte, obwohl das gute Laufspiel eigentlich für Entlastung hätte sorgen müssen. Oft mußte Cassel selbst ‚die Beine in die Hand’ nehmen. Darüber hinaus ließen seine WR zahllose fangbare Bälle fallen und waren in dieser Hinsicht wohl die schlechtesten in der gesamten NFL.
In der kommenden Saison ist angesichts besserer Mitspieler mit einer Verbesserung zu rechnen. Berichte aus dem Trainingscamp sowie die bisherigen Preseason-Spiele – alles natürlich mit äußerst beschränkter Aussagekraft – indizieren beispielsweise Quoten von 65-70 % (bei allerdings in der Preseason nach 3 Spielen nur wenig berauschenden 4,7 yards pro Paß). Cassel muß nun langsam nachweisen, dass er sein hohes Gehalt (11,75 Mio. $ in der kommenden Saison) wenigstens annähernd wert ist.
Brody Croyle – im Jahr 2008 infolge diverser Verletzungen plötzlich selbst Starter mit ordentlichen Leistungen – hat seinen Platz als Backup sicher. Er leidet derzeit an einer Armverletzung und kann nur eingeschränkt trainieren, dürfte aber zu Saisonbeginn wieder fit sein. Ob Tyler Palko überhaupt das Roster packt oder die Chiefs mit nur 2 QBs in die Saison gehen, wird sich in den nächsten Tagen entscheiden.
HB: Jamaal Charles, Thomas Jones, Jackie Battle, Javarris Williams
Auf der Position des Halfback kam es bereits im Lauf der Saison 2009 zur wichtigsten Veränderung, als Star und Sorgenkind Larry Johnson zur Saisonmitte entlassen wurde. Dessen Backup Jamaal Charles hatte daraufhin eine traumhafte zweite Saisonhälfte und erzielte 968 Yards in den letzten 8 Spielen (insgesamt 1120 Yards bei einem Schnitt von 5,9 Yards/carry). Diese Leistung ist um so erstaunlicher, als er ein sehr eindimensionaler Ballträger ist, der praktisch ausschließlich über die Außenseite Erfolg hat. Seine Markenzeichen sind seine Beweglichkeit und seine Geschwindigkeit. Er wurde im Januar operiert, soll aber im Trainingscamp nahtlos an die letztjährigen Leistungen angeknüpft haben.
Mit Thomas Jones von den Jets haben die Chiefs einen weiteren HB mit Starter-Qualitäten verpflichtet, der in den letzten 5 Jahren jeweils über 1000 yards pro Saison erlaufen hat, in der abgelaufenen Saison mit 1.402 yards einen neuen persönlichen Rekord aufgestellt hat und darüber hinaus als sicherer Passempfänger glänzt. Hinzu kommt, dass er im Gegensatz zu Charles seine Laufyards in erheblichem Umfang über die Mitte erzielt, so dass für Abwechslung gesorgt ist.
Jackie Battle hatte bislang eine gute Preseason (113 Yards in 25 Läufen) und dürfte seinen Roster-Spot sicher haben.
FB: Tim Castille, Mike Cox
Da Mike Cox zuletzt wenig erbauliche Leistungen erbracht hat, dürfte Tim Castille – ohne selbst zu glänzen – seinen Roster-Spot als Fullback sicher haben.
WR: Chris Chambers, Dwayne Bowe, Jerheme Urban, Dexter McCluster, Terrance Copper, Jeremy Horne, Quinten Lawrence, Lance Long, Verran Tucker, Rich Gunnell
Die Position der WR ist seit Jahren ein Sorgenkind der Chiefs.
Dwayne Bowe vermochte in der Vorsaison mehr durch eine große Klappe, unreifes Verhalten, schlechte Arbeitseinstellung, mäßige Geschwindigkeit und viele fallen gelassene Bälle als durch Leistung (47 catches bei 12,5 yards/catch, 4 TDs) aufzufallen. Gerade aufgrund seines zweifelhaften Charakters steht hinter seiner Entwicklung ein großes Fragezeichen. Immerhin bestehen nunmehr deutliche Anzeichen, dass er mit mehr Ersthaftigkeit an die Aufgabe herangeht, die durch eingesparte Äußerungen gegenüber den Medien gewonnene Zeit auf dem Trainingsplatz nutzt und sich so seine Chance bewahren will, als ehemaliger Erstrundenpick seine physische Stärke und Athletik doch noch dazu zu nutzen, ein erstklassiger NFL-Receiver zu werden.
„Deep threat“ Chris Chambers kam zwar nur auf 36 catches bei immerhin 16,9 yards/catch und ebenfalls 4 TDs. Allerdings vermag er die Aufmerksamkeit der gegnerischen Passverteidigung auf sich zu ziehen und so Raum für die Kollegen zu schaffen. Dies gilt um so mehr, je mehr Zeit die O-Line dem QB verschaffen kann.
Jeweils rund 600 yards durch die beiden „Top-Receiver“ – das ist ein Resultat, welches Spitzenleute alleine erzielen - hierbei darf es also nicht bleiben. Dass die Chiefs in Chambers einiges Vertrauen setzen, haben sie durch den Abschluss eines gut dotierten 3-Jahres-Vertrages deutlich gemacht.
Beide Starter müssen jedoch um ihren „Platz an der Sonne“ fürchten, da Rookie Dexter McCluster nach allen Berichten grandios einzuschlagen scheint („rookie sensation“, „impact player“) und mit Sicherheit jede Menge Spielzeit – vor allem als Slot Receiver, aber auch als RB - erhalten wird. Schwer einzuschätzen ist Jerheme Urban, der hinter den Spitzen-WR der Cardinals lediglich Backup war. Er dürfte aber neben Jeremy Horne und Terrance Copper – letzterer vor allem aufgrund seiner guten Leistungen in den Special Teams – seinen Platz im Roster erhalten.
TE: Leonard Pope, Tony Moeaki, Jake O’Connell, Leroy Banks
Nach dem Weggang von Tony Gonzales vor der Saison 2009 sind die Chiefs hier lediglich Mittelmaß. Pope dürfte seinen Platz als Starter sicher haben und fängt auch und gerade in der Red Zone zuverlässig seine Pässe. Rookie Tony Moeaki gilt als vielseitiger und talentierter, muß aber seine Fähigkeiten noch weiter entwickeln. Neben ihm dürfte vermutlich auch Jake O’Connell – ein gewaltiger Blocker, der im Passspiel bislang positiv überrascht hat - das Roster schaffen.
OL: Branden Albert (LT), Brian Waters (LG), Rudy Niswanger (C), Ryan Lilja (RG), Ryan O’Callaghan (RT); Barry Richardson (T), Ike Ndukwe (G/T), Casey Wiegmann (C), Jon Asamoah (G), Bobby Greenwood, Dan Santucci, Colin Brown, Darryl Harris, Lemuel Jeanpierre,
Die einst so ruhmreiche O-Line der Chiefs – von den 90ern bis Mitte der 2000er ein Prunkstück des Teams – ist seit einigen Jahren nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Einzig LG Brian Waters vermag Jahr für Jahr mit Leistungen aufzuwarten, die ihm realistische Chancen auf eine ProBowl-Nominierung geben. Auch wenn er seinen Zenit schon überschritten hat, ist er immer noch eine feste Größe und der Anführer der O-Line.
Rudy Niswanger ist ein ordentlicher, aber verletzungsanfälliger und manchmal zu wenig explosiver Center, der voraussichtlich seinen Starter-Spot knapp gegenüber seinem 37-jährigen Vorgänger und Heimkehrer Casey Wiegmann wird verteidigen können.
Die Position des RG übernimmt Neuzugang Ryan Lilja, der seit Jahren auf gleicher Position für die Colts startete und der O-Line die Stabilität verleihen soll, die ihr Mike Goff im Vorjahr nicht zu geben vermochte.
Branden Albert auf LT ist solide und hat seinen Starter-Spot mangels ernsthafter Konkurrenz sicher, wobei von ihm in seinem dritten NFL-Jahr noch Fortschritte zu erwarten sind.
Auf RT dürfte O’Callaghan der Starter sein, den die Chiefs im Vorjahr von den Waivers der Patriots aufgeklaubt hatten und dessen Beinarbeit als großer Schwachpunkt gilt. Ganz sicher darf er sich aber nicht sein, zumal zuletzt im Training auch gelegentlich Barry Richardson zum ersten Team gehörte.
Casey Wiegmann ist ein erstklassiger Backup als Center, wobei es bei Verletzungsproblemen sogar sein könnte, dass Niswanger auf die Position des Guards wechselt und Wiegmann seinen Job übernimmt. Ex-Dolphin Ndukwe fungiert als Backup für G/T und sollte seinen Job ebenso sicher haben wie Rookie Jon Asamoah, für den Wiegmann als Tutor fungieren soll. Spannend bleibt, ob Bobby Greenwood das Roster schafft. Dieser war eigentlich als DE ins Team gekommen, wurde dann aber im Camp aufgrund von Verletzungsproblemen zum OT umgeschult und zeigte dabei den Einsatz und die Flexibilität, auf die HC Haley besonderen Wert legt.
Insgesamt dürfte die Innenseite der O-Line stabilisiert sein. Größere Schritte nach vorn setzen aber Leistungssteigerungen auf den OT-Positionen voraus.