San Francisco 49ers Preview 2011
Kann Jim Harbaugh der neue Bill Walsh werden?
Waren die Erwartungen letztes Jahr noch enorm hochgeschraubt, so ist heuer eher das Gegenteil der Fall: Dass man vom Divisionsfavoriten zum Kandidaten für den #1 Overall Pick in der nächsten Draft abfällt, hat durchaus verschiedene Gründe.
Die 49ers haben HC Mike Singletary und einen großen Teil seines Coaching Staffs entlassen, und durch Stanford Head Coach Jim Harbaugh und seine beiden Coordinators, OC Greg Roman und DC Vic Fangio, ersetzt. Harbaugh hat gleich angekündigt einige fundamentale Dinge zu ändern; darunter das Offensivsystem. Unter Singletary spielte man eine erzkonservative Offense und war der Meinung, dass Gameplanning für Weicheier sei, und echte Männer einfach mit dem Kopf durch die Wand zum Erfolg kämen. Harbaugh hingegen setzt auf die Westcoast Offense, was von Fans und Presse sehr begrüßt wurde, und scheint auf Details, Matchups und Gameplanning sehr großen Wert zu legen. Nun ist ein Coachingwechsel immer ein wenig problematisch, wenn der Coach dann auch noch ein so komplexes System wie die WCO einführt, nachdem in den Jahren davor gefühlte 90% aller Plays "Frank up the middle!" lauteten, sind Abstimmungsprobleme vorprogrammiert.
Der Lockout tat hier noch sein übriges. QB Alex Smith, der eigentlich gar nicht mehr unter Vertrag war, organisierte zwar ein Minicamp, aber vergleichbar mit einer normalen Offseason ist das natürlich nicht. Dass Smith bei den Niners blieb, ist wohl auch ein Verdienst von Harbaugh, der über die Medien immer wieder betonte, dass Smith ein hochprofessioneller Quarerback sei, und er hoffe, dass dieser beim Team bleibe. Das wurde ihm von Seiten vieler Fans übel genommen, aber es hatte mit Sicherheit auch mit dem Lockout zu tun. Ohne Smith wäre man am Ende auf Grund der verspäteten Free Agency nur mit Rookie Colin Kaepernick ins Camp gegangen, denn man hatte keinerlei Interesse David Carr und Troy Smith wiederzuverpflichten.
Draft:
Die größte Baustelle der 49ers stellt die Position des Quarterbacks dar. Die Draftklasse galt auf dieser Position aber allgemeinhin als relativ schwach besetzt, und so war es im Nachhinein betrachtet kein Wunder, dass man das zweitgrößte Need bediente: Den Pass Rush. Aldon Smith soll der DeMarcus Ware der 49ers werden.
In der zweiten Runde schlug man dann doch noch bei einem Quarterback zu. Für Colin Kaepernick tradeten die 49ers neun Plätze hoch. Kaepernick war enorm produktiv im College und hält auch einige Rekorde, aber spielte in einer Pistol Offense, die sehr wenig mit den Offensivsystemen der NFL zu tun hat. Harbaugh zeigte sich aber sehr zuversichtlich.
Chris Culliver ist ein Workout Warrior mit viel Upside und Kendall Hunter ein Running Back, der mit Sicherheit auf Grund seiner geringen Größe in die vierte Runde fiel.
Alles in allem ist es offensichtlich, das man weniger auf fertige Spieler als auf Prospects mit Upside gesetzt hat. Ein Umstand, der darauf schließen lässt, dass die Coaches sehr überzeugt von sich sind.
Die Draft verlief nach einer ersten halbwegs aussagekräftigen Bewertung eigentlich höchst erfolgreich: Alle Draftpicks bis auf Sechstrunder WR Ronald Johnson haben die Cuts überstanden. Außerdem schafften es noch drei UDFAs (DL Ian Williams, DL Demarcus Dobbs und QB Scott Tolzien) ins Team.
Ist Aldon Smith der Pass Rusher nach dem die 49ers seit Ewigkeiten suchen?
Rd Sel Ovr Player Pos School
1 7 7 Aldon Smith DE Missouri
2 4 36 Colin Kaepernick QB Nevada
3 16 80 Chris Culliver CB South Carolina
4 18 115 Kendall Hunter RB Oklahoma State
5 32 163 Daniel Kilgore G Appalachian State
6 17 182 Ronald Johnson WR USC
6 25 190 Colin Jones S TCU
7 8 211 Bruce Miller OLB UCF
7 38 239 Mike Person T Montana State
7 49 250 Curtis Holcomb CB Florida A&M
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Free Agency:
In der FA hat man einige Starter verloren, darunter C David Baas, CB Nate Clements, LB Manny Lawson und NT Aubrayo Franklin. Man blieb aber selbst nicht untätig und verpflichtete C Jonathan Goodwin, SS Donte Whitner und WR Braylon Edwards als Starter.
Eine der umstrittensten Entscheidungen war der Trade von Second Year Safety Taylor Mays. Der neue Defensive Coordinator Vic Fangio deutete in einem Interview an, dass Taylor Mays kein NFL Spieler sei. Letztenendes bekam man den Siebtrundenpick 2013 der Cincinnati Bengals. Trent Baalke war letztes Jahr der Hauptverantwortliche für die Draft und ist seit heuer der General Manager der 49ers. Es soll im letzten Jahr kurz vor dem Pick eine heftige Diskussion im Draft War Room zwischen ihm und dem damaligen Head Coach Mike Singletary gegeben haben. Allerdings hatte Baalke in der Draft das letzte Wort; insofern sieht das nicht sonderlich ruhmreich für ihn aus.
Zugänge:
Pos Player Team
C Jonathan Goodwin New Orleans Saints
CB Carlos Rogers Washington Redskins
FS Madieu Williams Minnesota Vikings
ILB Blake Costanzo Cleveland Browns
ILB Tavares Gooden Baltimore Ravens
K David Akers Philadelphia Eagles
OLB Antwan Applewhite San Diego Chargers
S C.J. Spillman San Diego Chargers
SS Donte Whitner Buffalo Bills
WR Braylon Edwards New York Jets
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Abgänge:
Pos Player Team
C David Baas New York Giants
C/G Tony Wragge St. Louis Rams
CB Nate Clements Cincinnati Bengals
CB William James ohne Team
DE Dematric Evans ohne Team
ILB Takeo Spikes San Diego Chargers
K Joe Nedney retired
NT Aubrayo Franklin New Orleans Saints
OLB Travis Laboy San Diego Chargers
OLB Manny Lawson Cincinnati Bengals
OT Barry Sims ohne Team
QB David Carr New York Giants
QB Troy Smith ohne Team
RB Brian Westbrook ohne Team
SS Taylor Mays Cincinnati Bengals
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Training Camp:
Im Camp konnte man dann Harbaughs Intensität und Engagement bewundern. Er läuft im Training das Feld auf und ab, und übernimmt immer wieder verschiedene Positionen: Einmal nimmt er die Snaps und spielt Quarterback, ein anderes Mal läuft er als Receiver oder Tight End auf, und sogar als Punter wurde er gesichtet, weil er bei Punt Blocking Drills keine Verletzung Andy Lees riskieren wollte. Ob das etwas bringt, sei dahingestellt, aber die Spieler finden es inspirierend. Überhaupt scheint er äußerst beliebt bei den Spielern zu sein.
Sein Augenmerk liegt auch enorm auf Details: Laut eigener Aussage ist er sinngemäß der Meinung, dass auch Kleinvieh Mist macht, und er deshalb jedes noch so kleine Detail angeht. Es wurde angedeutet, dass er seine Quarterbacks darauf hinweist, wenn sie mit den Füßen beim Backdrop nur wenige Zentimeter vom Ideal abweichen. Gerade die Beinarbeit wurde immer wieder als enormes Manko von Alex Smith beschrieben. Außerdem lässt er gewisse Situationen und Spielzüge so lange trainieren, bis sie passen; etwas das die 49ers kurioserweise unter Mike Nolan und Mike Singletary anscheinend nicht taten.
Bei Pressekonferenzen wirkt er sehr entspannt und gibt sehr informative Antworten. Gleichzeitig ist er gegenüber der Presse in gewissen Punkten sehr verschlossen. Das drückt sich auch darin aus, dass die Niners ihr Training nun anders als in den Jahren davor unter Ausschlus der Öffentlichkeit abhalten. Er lässt sich nicht in die Karten blicken.
Bewertung der einzelnen Units
Skala: (schlechteste) 1-10 (beste); Starter in fett.
Offensive Line (9): LT Joe Staley, LG Mike Iupati, C Jonathan Goodwin, RG Chilo Rachal, RT Anthony Davis, C/G Adam Snyder, OT Alex Boone, Daniel Kilgore, Mike Person
An den Spieltagen werden nur die fünf Starter und die zwei primären Backups Adam Snyder und Alex Boone aktiv sein. Kilgore und Person hat man, in erster Linie aus Angst sie an ein anderes Team zu verlieren, auf dem Roster behalten.
In der Preseason sah die Oline gegen die Saints und Texans bedenklich schwach aus. Die Saints blitzten aus allen Rohren, und man sah der Oline an, dass sie darauf nicht vorbereitet war und enorme Abstimmungsprobleme hatte. Gegen die Texans war dann erschreckenderweise weniger die mangelnde Abstimmung das Problem: Die Spieler verloren einfach die Zweikämpfe, und dabei machte nicht ein Oliner eine Ausnahme. Man kann wirklich nur hoffen, dass das in erster Linie an Harbaughs Ansatz lag, in der Preseason einfach aufs Feld zu laufen und drauf los zu spielen. Sonst könnte das eine katastrophale Saison werden.
Zumindest war die Leistung gegen die Raiders und Chargers ansprechend, und das Run Blocking sollte durchaus funktionieren. Man hatte auch das Gefühl, dass, nachdem er sich den Starterposten erkämpft hatte, Jonathan Goodwin als Center die Line aufwertete.
Traurig ist es aber allemal, denn in dieser Unit tummeln sich sage und schreibe drei Erstrundenpicks, zwei Zweitrunder und ein Pro Bowler.
Note: 4
Tight End (2): Vernon Davis, Delanie Walker, (FB Bruce Miller)
Vernon Davis: Wird er der erste 1 000 Yard Receiver seit TO?
Eine große Stärke des Teams, wäre da nicht die fragwürdige Tiefe. Vernon Davis ist vermutlich der kompletteste Tight End der Liga und Delanie Walker überzeugt seit Jahren immer wieder mit schwierigen Catches.
Wenn die Saison halbwegs läuft, hat Davis eine gute Chance seine letzten Zahlen ein klein wenig zu verbessern (zwei aufeinanderfolgende 900+ Yards Saisonen), und der erste 1 000 Yard Receiver für die 49ers seit Terrell Owens zu werden.
Da Harbaughs Basisformation ohne Fullback aber mit zwei Tight Ends aufläuft, stellt sich durchaus die Frage, wie man ohne gestandenen Backup durch die Saison kommen will. Bruce Miller ist ein konvertierter Defensive End ohne jegliche Erfahrung, der eigentlich als Fullback gedraftet wurde.
Ein fehlender Backup macht hier aus einer eindeutigen Zehn eine Neun.
Note: 9
Wide Receiver (5): Braylon Edwards, Michael Crabtree, Joshua Morgan, Kyle Williams, Ted Ginn
Auf kaum einer Position ist eine Verbesserung so klar ersichtlich wie hier: War Ted Ginn letzte Saison noch der dritte Receiver, so dürfte er heuer nur als Kick und Punt Returner das Feld sehen.
Braylon Edwards verbrachte zusätzliche Zeit mit Alex Smith, um am Timing und der Abstimmung zu arbeiten. Außerdem lieferte er mit einem one-handed Catch eines der spektakulärsten Plays der Preseason. Das Potenzial einen #1 Receiver abzugeben, hat er in jedem Fall.
Michael Crabtree hat zum dritten Mal in Folge die gesamte Preseason versäumt. Diesmal hat ihn ein gebrochener Fuß, der selbe wegen dem er schon kurz nach der Draft operiert worden war, am Training gehindert. Letztes Jahr sah man, dass er und Alex Smith schlecht eingespielt waren, da einige Bälle auf ihn zu kuriosen Interceptions führten.
Kyle Williams könnte eventuell sogar Josh Morgan als dritten Receiver verdrängt haben, und der sah nicht so aus als hätte er nachgelassen.
Note: 6
Quarterback (3): Alex Smith, Colin Kaepernick, Scott Tolzien
Hier gibt's nicht viel zu lachen: Alex Smith hat es nun irgendwie geschafft noch ein siebtes Jahr bei den Niners zu verbringen, und seine Backups sind beide Rookies, von denen der eine eine äußerst durchwachsene Preseason hatte, und der andere ein gecutteter UDFA ist.
Dass Smith im letzten Spiel gegen die Chargers wieder ziemlich ungenau passte, stimmt wenig zuversichtlich, dass er in dieser Saison wesentlich besser als in den letzten aussehen wird. Smith hat sich außerdem als relativ verletzungsanfällig entpuppt, und sollte die Oline da weitermachen, wo sie in der Preseason aufgehört hat, dann wird wohl einer der beiden Rookies starten; und man sollte nicht unbedingt auf Kaepernick setzen.
Ein fragwürdiger Starter und zwei fragwürdige Backups: Hier gibt es nur keine Eins, weil die Seahawks einen noch schwächeren Starter auf der Position haben.
Note: 2
Running Back (5): Frank Gore, Kendall Hunter, Anthony Dixon, FB Moran Norris, FB Bruce Miller
Gore ist insgesamt, wenn man Facetten wie Pass Blocking miteinbezieht, nach wie vor ein Top 5 Back. Aber seine Verletzungsgeschichte lässt einen doch daran zweifeln, dass man ihn weiterhin so herschinden kann, wie in den letzten Jahren.
Kendall Hunter sieht mit seiner unglaublichen Beschleunigung wie ein Steal aus, aber gerade die Running Backs der 49ers haben in den letzten Saisonen immer stark in der Preseason ausgesehen. Festhalten sollte man, dass Hunter einige Schlüsselqualitäten besitzt: Übersicht, Beschleunigung, fällt immer nach vorne.
Dixon hat es schließlich doch noch geschafft, das Tänzeln sein zu lassen, und sich zu einem wertvollen Short Yardage Back entwickelt.
Dass der Starter auf Fullback nach wie vor Moran Norris heißt, macht hier aus einer glatten Neun eine Acht. Seine Technik beim Blocken hat nachgelassen und auch an Übersicht mangelt es ihm mittlerweile. Wenn man dann noch miteinbezieht, dass die WCO Fullbacks gerne als Passempfänger nutzt, und sich an seine unglaublichen Drops in der Endzone vom letzten Jahr errinnert, kann man nur hoffen, dass Bruce Miller ihn vom Roster verdrängen kann.
Note: 8