Teil des Problems ist im Kern definitiv eine stark ausgeprägte Staatsgläubigkeit. Es wird erwartet, dass man von der Politik abgeholt und etwas "für einen persönlich gemacht" wird. Bleibt das erwartungsgemäß aus, kommt dann irgendwann mal das "Fuck you".
Dieses "Wir müssen die Ossis abholen und es muss mehr für sie gemacht werden" hör ich eigentlich immer nur von Politikern, die ihr schlechtes Abschneiden in den neuen Bundesländern zu erklären versuchen. Für den Großteil der Leute die ich kenne, überwiegt in der Bewertung solcher Aussagen übrigens die persönliche Beleidigung und die Ablehnung einer solchen paternalistischen "Kümmerkultur".
Wenn ich mir meinen Abschlussjahrgang von damals angucke, dann fällt es mir schwer mir irgendwo in Deutschland eine Gruppe vorzustellen, denen mehr Möglichkeiten zur Verfügung gestellt wurden und die mehr aus ihren Möglichkeiten gemacht haben. Niemand macht den Staat für seine eigenen Fehlleistungen verantwortlich und niemand möchte den Staat als Steigbügelhalter für seine Zukunft.
Man sollte bei aller berechtigten Ablehnung von Stimmen für die AfD, nicht die historisch gewachsenen Strukturen im Westen vergessen (wo Leute immer die CDU oder SPD gewählt haben und es bis heute machen) und was ein Mangel dieser Strukturen bei der mangelnden Strahlkraft der heutigen Parteien in einem solchen Umfeld bedeutet. Irgendeine Partei muss man ja ehrlichen Herzens wählen dürfen, wenn man kein "fuck you"-Kreuz bei der AfD machen soll. Groß anders würden die Wahlergebnisse meiner Meinung nach auch im Westen nicht aussehen, ohne die lange Historie von Identifikation mit den ordentlichen Repräsentanten der Versionen von Parteien, die sie heute nicht mehr sind.
Auch hier im Forum wird die SPD mit "nicht mehr wiederzuerkennen" herabgewürdigt. Man macht sich über ihre Repräsentanten lustig, sie sind die "Mitmachpartei", deren mangelndes Rückgrat schon sprichwörtlich ist.
Die CDU'ler sind mal selbst halbe Faschisten, aber meist dann doch "Ewiggestrige", gefangen in den frühen 50ern und sowieso in der Tasche der Großindustrie. Ihr Aussterben wird allenthalben herbeigesehnt.
Die Grünen sind "grün angestrichene FDP", eine Partei von Besserwissern und Schlechtermachern, eine ekelhafte Vorschriftspartei.
Die SED heisst jetzt anders.
Und so durchschnittlich alle 2 Jahre kommt man zusammen und verlangt, doch in einen dieser sauren Äpfel zu beissen, obwohl eine Stimme für irgendeine "Protestpartei" für jeden erkennbar keine realpolitische Auswirkung hat, weil mit der Partei keiner zusammenarbeiten will und wird.
Man kann mich wieder aufwecken, wenn die "demokratische Fallhöhe" derart hoch ist, das ein Linke-Politiker sagt: "wer es ein bischen freiheitlicher mag, ein bischen konservativer, der soll doch bitte die CDU wählen. Ich hab politisch wenig mit ihnen gemein, aber sie sind eine demokratische Partei und da arbeiten keine schlechten Menschen.", anstatt jedes falsche Wort für einen "verbrannte Erde"-Wahlkampf zu benutzen, der nur darauf aus ist nochmal 0,1% selbst zu gewinnen. Man kann nicht ständig das Ende der Demokratie herbeiweinen und selbst die einzige demokratische Alternative sein.