Detroit Lions Preview 2004
Wie lief das letzte Jahr?
2003 war für die Lions das, was man gemeinhin ein Seuchenjahr nennt: Es begann mit der Verletzung des etatmäßigen Running Backs James Stewart im letzten Spiel der Preseason und endete mit sage und schreibe 15 Spielern auf der IR-Liste. Trotz der extraordinären Verletzungsprobleme, die neben Stewart unter anderem die Stammkräfte John Jett (Punter), Charles Rogers (Wide Receiver) und fünf(!) Cornerbacks betrafen, schloss man die Saison mit einer gegenüber den Vorjahren leicht verbesserten Bilanz von 5-11 ab. Mehr war nicht drin im ersten Jahr unter Headcoach Steve Mariucci, der einige vielversprechende Ansätze in dem Team geweckt hat, die rekordverdächtige Serie von mittlerweile 24 Auswärtsniederlagen hintereinander jedoch bisher nicht stoppen konnte.
Wer ging?
Die wichtigsten Abgänge sind: RB James Stewart, WR Bill Schroeder, TE Mikhael Ricks, OG Ray Brown, OG Eric Beverly, LB Barrett Green, CB Otis Smith, S Corey Harris.
Wer kam?
Die wichtigsten Free Agent-Zugänge sind: WR Tai Streets, TE Stephen Alexander, OG Damien Woody, OT/OG Solomon Page, CB Fernando Bryant, S Brock Marion.
Die Draft der Lions, von der großen Mehrheit der Experten als die beste aller NFL-Teams bezeichnet, verlief folgendermaßen:
1. Runde (#7): Roy Williams, WR, Texas
1. (#30) Kevin Jones, RB, Virginia Tech
2. (#37) Teddy Lehman, OLB, Oklahoma
3. (#73) Keith Smith, CB, McNeese St.
5. (#140) Alex Lewis, OLB, Wisconsin
6. (#172) Kelly Butler, OT, Purdue
Wer sind die Coaches?
Headcoach Steve Mariucci, anerkannter Erfolgstrainer und Verfechter einer West Coast-Offense, geht in seine zweite Saison bei den Lions und kann dabei erstmals auf einen weitgehend nach seinen eigenen Vorstellungen aufgestellten Stab zurückgreifen: Neu sind Defensive Coordinator Dick Jauron, QB-Coach Greg Olson und O-Line-Coach Patrick Morris, allesamt alte Bekannte von Mariucci. Schon seit einigen Jahren in Detroit sind Offensive Coordinator Sherman Lewis und Special Teams Coordinator Chuck Priefer.
Wie sieht die Offense aus?
Quarterbacks
Joey Harrington geht in seine dritte Saison als starting QB der Lions und steht unter dem Druck, in diesem Jahr das Vertrauen und die Geduld, die man in ihn investiert hat, rechtfertigen zu müssen. Der #3-Pick von 2002 hat bisher zu selten die ihm zugeschriebenen Talente zum Vorschein gebracht, konnte sich aber immer ein Stück weit mit fehlender Qualität und Verletzungspech auf den anderen Skill-Positionen der Offense entschuldigen. Diese Ausrede ist ihm mit den jüngsten Neuverpflichtungen vermutlich abhanden gekommen, so dass 2004 das Jahr der Wahrheit für Harrington wird. Hinter ihm scharrt Mike McMahon mit den Hufen. Der 25-Jährige konnte bei den wenigen Gelegenheiten, die ihm gegeben wurden, nicht überzeugen, gilt unter Beobachtern aber dennoch als jemand, der den Sprung zum Starter in der NFL schaffen kann. Als Mentor und zur Absicherung der beiden jungen Spielmacher komplettiert Routinier Rick Mirer die QB-Riege der Lions.
Running Backs
Diese Position ist das wohl größte Fragezeichen im Team der Lions. Nachdem das nach Stewarts Verletzung aus der Not geborene Tandem aus Shawn Bryson und Olandis Gary in der vergangenen Saison die Lions auf den letzten Platz der NFL-Laufstatistiken führte, ruhen nun alle Hoffnungen auf Erstrundenpick Kevin Jones. Jones ist groß, schnell, bringt Übersicht und Brecherfähigkeiten mit und kann auch blocken. Fangen durfte er bei Virginia Tech systembedingt selten, aber auch das soll er bei den ersten Trainingseinheiten in Detroit gut hinbekommen haben. Die Zeichen stehen gut für die Zukunft von Kevin Jones als Franchise Back der Lions, aber man darf auch nicht vergessen: Er ist ein Rookie und niemand kann vorhersagen, ob und wie schnell er den Sprung in die NFL bewältigt. Neben Jones macht sich noch Artose Pinner Hoffnungen, als Starter oder zumindest als gleichwertiger Committee-RB eingesetzt zu werden. Er war ein Draftpick in der letzten Saison, der ursprünglich deutlich höher erwartet worden war, dann aber wegen einer Verletzung in die vierte Runde rutschte und dort von den Lions als vermeintliches Schnäppchen aufgenommen wurde. Wegen dieser Verletzung spielte er nur in den letzten 3 Saisonspielen, in denen er mit einem Durchschnitt von 2.5 Yards wenig überzeugen konnte. Shawn Bryson wird wohl auf Grund seiner Erfahrung und seiner Receiving-Fähigkeiten als 3rd-Down-RB eingesetzt werden. Bei Olandis Gary ist fraglich, ob er es in den endgültigen Kader schafft. Nicht zu vergessen ist Corey Schlesinger, der seit Jahren unspektakulär, aber wirkungsvoll seine Arbeit als FB verrichtet. Ein erfahrener Spieler, der sowohl zum Spiel als auch für die Stimmung in der Mannschaft viel Positives beiträgt.
Wide Receivers
Auch hier haben die Lions in der Draft deutlich aufgerüstet: Mit Roy Williams als #7 overall holte man ein Talent an Bord, das mit dem letztjährigen #2-Pick Charles Rogers ein Duo infernale bilden soll. Nicht wenige sind der Meinung, dass es damit gelungen ist, zweimal in Folge jeweils den besten Rookie-Receiver des Jahrganges nach Detroit zu holen. So vielversprechend das klingt, auch hier muss man die Euphorie mit dem Hinweis bremsen, dass sowohl Williams als auch Rogers, der sich in seinem Rookie-Jahr im fünften Spiel verletzte und bis Saisonende ausfiel, ihre dauerhafte NFL-Tauglichkeit noch unter Beweis stellen müssen. Für Rogers spricht, dass er in den wenigen absolvierten Spielen so gut war, dass er noch Wochen nach seiner Verletzung die Receiving-Statistik der Lions anführte. Als dritter Wide Receiver wurde Tai Streets verpflichtet. Der 27-Jährige spielte zuvor fünf Jahre lang bei den 49ers, darunter die letzten beiden Jahre als Starter. Er ist mit Coach Mariucci und seinem System vertraut und dürfte daher wenig Eingewöhnungszeit brauchen. Außer den Genannten können sich noch Az-Zahir Hakim, Scotty Anderson und Trevor Gaylor Hoffnung auf ein paar Pässe in ihre Richtung machen.
Tight Ends
Der bisherige Stammspieler Mikhael Ricks wurde entlassen, nachdem ihm bereits während der letzten Saison der ungedraftete Rookie Casey Fitzsimmons teilweise den Rang abgelaufen hatte. Fitzsimmons hat seine Stärken im Blocken, kann aber auch den einen oder anderen Pass fangen. Häufiger als receiving TE in Erscheinung treten wird vermutlich Stephen Alexander, der als Free Agent verpflichtet wurde, nachdem er in San Diego in der letzten Saison durch Verletzungen kaum zum Einsatz kam. Ergänzend steht noch John Owens bereit, er ist in erster Linie ein Blocker.
Offensive Line
Die O-Line war zuletzt eines der wenigen Prunkstücke im Team der Lions. In den vergangenen beiden Jahren ließ sie die wenigsten Sacks der gesamten NFL zu. Mit den Tackles Stockar McDougle und Jeff Backus sowie Center Dominic Raiola bleibt das Gerüst dieses Mannschaftsteil zusammen, doch leider haben die Guards Ray Brown (Falcons) und Eric Beverly (mit 41 in den wohlverdienten Ruhestand) die Mannschaft verlassen. Die Lücken füllen sollen Pro-Bowl-Guard Damien Woody (Ex-Patriots) auf der rechten sowie Solomon Page (Ex-Chargers) auf der linken Seite. Um Woody muss man sich dabei wohl wenig Sorgen machen, bei Page ist abzuwarten, wie schnell er sich umgewöhnt, denn er spielte bisher als Tackle. Alternativen für die LG-Position sind David Loverne und möglicherweise Pete Kendall, der kürzlich bei den Cardinals entlassen wurde und sich in Verhandlungen mit den Lions befindet.
Was macht die Defense?
Defensive Backs
Die Cornerbacks waren im letzten Jahr eine Problemzone der Lions – nicht, weil die Qualität fehlte, sondern weil sich einer nach dem anderen verletzte. Wenn sich die Hoffnung erfüllt, dass diese schwarze Serie sich nicht in die neue Saison fortsetzt, dann erscheint das Backfield gut aufgestellt: Pro-Bowl-CB Dre’ Bly ist ein unumstrittener Playmaker, als würdiges Gegenüber wurde Ex-Jaguar Fernando Bryant verpflichtet. Für die Tiefe sorgen Drittrundenpick Keith Smith sowie die nach den letztjährigen Wehwehchen hoffentlich wieder genesenen Rod Babers, Chris Cash und Andre Goodman. Den Posten des Strong Safety behält Brian Walker, als Free Safety wurde der erfahrene Brock Marion (Ex-Dolphins) geholt. Terrence Holt und Bracy Walker stehen als Backups bereit.
Linebackers
Die Strongside gehört Boss Bailey, der diesen Posten in seiner letztjährigen Rookiesaison vom ersten Spiel an hervorragend ausfüllte. Als Middle Linebacker wird aller Voraussicht nach weiterhin Earl Holmes auflaufen, so dass die einzige Veränderung die Weakside betreffen wird, von der sich Barrett Green in Richtung New York (Giants) verabschiedet hat. Favorit für die freie Stelle ist Zweitrundenpick Teddy Lehman, der als sehr kompletter Spieler gilt und jede LB-Position spielen kann. Mit den schnellen Youngstern Bailey und Lehman auf den Seiten und Routinier Holmes (Spitzname „Hitman“) in der Mitte macht dieser Mannschafsteil einen guten Eindruck. Mit James Davis, Donte’ Curry, Wali Rainer und Fünftrundenpick Alex Lewis ist auch für Tiefe gesorgt.
Defensive Line
Die D-Line ist einer der wenigen Teile des Teams, in denen personelle Konstanz angesagt ist, auch wenn es einige Umstellungen gibt: Shaun Rogers und Dan Wilkinson („Big Baby“ und „Big Daddy“) sollen als Defensive Tackles wie bisher die Mitte dicht machen. Kalimba Edwards, in der letzten Saison nicht voll einsatzfähig, soll sich den Starterposten als Right End zurück erkämpfen. Damit würde James Hall frei und könnte auf die linke Seite wechseln. Diese stand bisher unter Bearbeitung durch Alt-Star Robert Porcher, der sich mit seinen 34 Jahren so langsam auf die Bank zurückziehen dürfte. Neben Porcher stehen Jared DeVries und Corey Redding als fähige Backups für die D-Line zur Verfügung.
Wer prägt die Special Teams?
Es kommt nicht von ungefähr, dass ST-Coordinator Chuck Priefer seit 1997 absolut unumstritten ist, denn von allen Mannschaftsteilen ist dies derjenige, der am konstantesten funktioniert. Jason Hanson hat in den letzten 12 Jahren kein einziges Spiel verpasst und 2003 nur ein Field Goal verschossen. Mehr muss man zum Kicker der Lions nicht sagen, also weiter zum Punting: Nach der Verletzung von John Jett im fünften Spiel der letzten Saison kam es gerade Recht, dass die Bengals ihren Punter Nick Harris entließen. Harris kam als Lückenbüßer, machte seinen Job sehr ordentlich und hat nun einen neuen Vertrag erhalten, da Jetts Verletzungsstatus zu unsicher schien und sein Kontrakt sowieso auslief. Die Coverage bei Punts und Kickoffs funktioniert gut, der Gegner kann sehr selten in nennenswerter Größenordnung Boden gutmachen. Zwar hat Jeff Gooch, der sich in diesem Bereich hervortat, Detroit verlassen, aber Priefer hat in den letzten sieben Jahren noch jeden seiner Spieler ersetzen können. Für die andere Seite der Special Teams haben die Lions in Eddie Drummond einen sehr guten Returner, der während zweier Verletzungspausen in der letzten Saison ebenso gut vertreten wurde von Reggie Swinton. Das einzige Problem, dass die Lions – Verletzungsfreiheit vorausgesetzt – auf dieser Position haben, ist, sich für einen der beiden entscheiden zu müssen.
Was muss besser werden?
Über die einzelnen Mannschaftsteilen hinausgehend gibt es noch ein paar Punkte, die insgesamt besser werden müssen. Vor allem müssen die Lions Konstanz in ihr Spiel bringen. Es ist ein häufiges Problem junger Mannschaften, dass sie die Leistung, die sie in der einen Woche zeigen, in der nächsten Woche nicht wiederholen können. Hier sind vor allem die Trainer gefragt, die Spieler immer wieder neu zu motivieren und gleichzeitig vor dem Abheben zu bewahren, wenn mal etwas gut gelaufen ist. Auf dem Weg zu mehr Konstanz muss vor allem endlich die schwarze Serie von Auswärtsniederlagen abgeschüttelt werden, die nun schon seit drei Jahren anhält. Sie lastet schwer in den Köpfen der Spieler und lässt sich nur durch ein Erfolgserlebnis abschütteln. Der Saisonauftakt bei den Chicago Bears ist auch in dieser Hinsicht enorm wichtig. Ein anderes Problem, dass die Lions dringend loswerden müssen, ist die extreme Häufung von Verletzungen. Sicher kann man hier vorbeugend einiges tun, indem man das Training entsprechend dosiert und angeschlagenen Spielern frühzeitig die Gelegenheit zum Auskurieren ihrer Blessuren gibt, doch in einer körperbetonten Sportart hat es auch viel mit Glück und Pech zu tun, wie viele Verletzungen man verkraften muss.
Was ist möglich?
Wenn alles optimal läuft – die neuen Spieler sich schnell integrieren, Verletzungen sich in Grenzen halten, frühe Erfolgserlebnisse für das nötige Selbstvertrauen sorgen und Harrington endlich die hohen Erwartungen erfüllt –, dann können die Lions an der Tür zu den Playoffs kratzen.
Was ist realistisch?
Wenn man all die „hätte“, „wenn“ und „aber“ beiseite lässt und davon ausgeht, dass wahrscheinlich einer oder zwei der wünschenswerten Faktoren nicht eintreten, dann kann man zumindest davon ausgehen, dass die Lions ohne große Sprünge langsam, aber stetig ihren Weg zu einem besseren Team fortsetzen und erneut die Vorjahresleistung um zwei bis drei Siege steigern werden. Eine ausgeglichene Bilanz von 8-8 ist ein gutes und realistisches Ziel für die Detroit Lions des Jahres 2004.