Detroit Lions Preview 2009

Detroit Lions Preview 2009
Oder: Ein Stuhl, zwei Meinungen

Silver: Herzlich willkommen zur heutigen Expertenrunde, zu der wir alle maßgeblichen Lionskenner des deutschen Sprachraumes eingeladen haben. Gekommen sind leider nur wir beide...

Surger: Was heißt da "nur" oder vor allem was heißt "wir beide"? Wir sind doch nur einer!

Silver: Jaja, schon klar, aber ich dachte mir, die dialogische Form macht das Ganze ein bisschen ansprechender als ein seitenlanger Monolog.

Surger: Ach, was du da wieder dachtest...

Silver: Können wir jetzt bitte anfangen? Die Leute haben schließlich nicht ewig Zeit.

Surger: Na, dann mach doch endlich, du Pfeife!

Silver: Selber Pfeife. Also gut, beginnen wir mit einem kurzen Saisonrückblick.

Surger: Was gibt's denn da zurückzublicken? 0-16, mieseste Bilanz der NFL-Geschichte, schlechtestes Team aller Zeiten. Basta.

Silver: Zugegeben, es war ein schlechtes Jahr. Aber wir wollen die Lichtblicke nicht ignorieren - WR Calvin Johnson hatte ein sehr gutes Jahr und Rookie-RB Kevin Smith zeigte starke Ansätze. Herausragend war Kicker Jason Hanson, der wohl nur aufgrund seiner Teamzugehörigkeit nicht im Pro Bowl spielen durfte. Das sind ein paar Pfeiler, auf die man für die kommende Saison aufbauen kann.

Surger: Schlechter als im letzten Jahr kann es zwar nicht werden, aber ich glaube auch nicht, dass es dieses Jahr viel besser wird. Man hat mal wieder in einem Akt der Verzweiflung den ganzen Kader umgekrempelt und ebenso den Trainerstab. Jim Schwartz ist jetzt Head Coach und obwohl er als Defensive Coordinator der Titans einen guten Job gemacht hat, bin ich sehr skeptisch, denn er bringt null Erfahrung als Cheftrainer mit. Mit Scott Linehan und Gunther Cunningham hat er zwei erfahrene Koordinatoren an Land gezogen, die aber für völlig unterschiedliche Philosophien stehen als die bisher geltenden - weg von der Cover-2-Defense hin zu einer aggressiveren Abwehr, weg vom passbetonten Offensivspiel und Zone-Blocking hin zu einem stärkeren Fokus auf das Laufspiel mit viel Man-to-Man-Blocking. Kaum hatten die Spieler begonnen, das alte System zu kapieren, müssen sie sich schon wieder an ein neues gewöhnen. Ich bin vor allem gespannt, ob unter Linehans Taktik nicht ausgerechnet deine "Stützpfeiler" Johnson und Smith zu leiden haben werden.

Silver: Du solltest nicht immer alles so negativ sehen. Schwartz ist ein junger, intelligenter Coach, der von Größen wie Bill Belichick und Jeff Fisher gelernt hat. Der weiß, was er tut und das sieht man auch an seiner Auswahl der Koordinatoren. Die Offense der Lions war in den letzten Jahren sehr eindimensional und wird von der Balance, für die Linehan steht, profitieren. Das gilt auch für Johnson, der sich als Alleinunterhalter fast immer massierter Coverage ausgesetzt gesehen hatte. Die Umstellung von Zone- auf Man-Blocking ist nicht so schwer wie umgekehrt und die Cover-2-Defense hat in Detroit nie wirklich funktioniert, warum also sollte man ihr hinterhertrauern? Mindestens die Hälfte aller Defensivpositionen wird mit neuen Startern besetzt sein, die gezielt für das neue System ausgewählt wurden.

Surger: Vergiss es, ich lasse mich nicht mehr auf das "nächstes Jahr wird alles besser" ein, das wir uns seit 50 Jahren anhören dürfen. Schau dir doch allein unsere Quarterbacks an: Daunte Culpepper hatte sein letztes gutes Jahr 2004, bevor ihn Verletzungen aus der Bahn warfen und er nie wieder der Alte war. Matt Stafford ist ein talentierter junger Mann, den wir wieder viel zu früh ins kalte Wasser werfen und hinter unserer löchrigen O-Line verheizen werden.

Silver: Im kalten Wasser verheizen? Das ist nicht nur sprachlich ein extrem schiefes Bild, es entspricht auch nicht der Realität. Zuerst einmal können wir Stafford die Zeit geben, die er braucht, denn mit Culpepper haben wir einen fähigen und erfahrenen QB. Die Zeichen stehen gut, dass er dieses Jahr an alte Erfolge anknüpfen kann, denn er spielt jetzt unter dem gleichen OC wie damals in Minnesota und man sieht ihm an, dass er körperlich so gut in Form ist wie schon lange nicht mehr. Wenn Stafford irgendwann in diesem oder auch erst im nächsten Jahr soweit ist, wird er von Linehan und Culpepper viel gelernt haben und an Anspielstationen wird es dem QB, egal wer es ist, nicht mangeln. Was die angeblich löchrige O-Line betrifft, über die können wir gern als nächstes reden.

Surger: "Angeblich" ist gut. Schau dir doch mal an, wen wir da haben - LT Jeff Backus startet seit 2001 jedes Spiel, obwohl er nie wirklich überzeugen konnte. C Dominic Raiola ist genauso lange dabei wie Backus und ist in acht Jahren genauso wenig über knappes Mittelmaß hinausgekommen wie dieser. RT Gosder Cherilus fiel in seinem Rookiejahr mehr durch Penalties auf als durch Leistung und die Guardpositionen sind seit Jahren die reinste Drehtür.

Silver: Zugegeben, die Line ist der Schwachpunkt in der Offense der Lions. Dennoch darf man auch hier eine Verbesserung erwarten. Cherilus hat nun ein Jahr NFL-Erfahrung auf dem Buckel und wurde schon im Laufe der letzten Saison immer besser. Backus und Raiola sind nicht so schlecht, wie sie oft aussahen, weil beide unter unbeständigen Guards litten, was sich nun hoffentlich ändert: RG Stephen Peterman liegt das neue Blocking Scheme mehr als das alte und er erhielt nicht von ungefähr eine Vertragsverlängerung. Als neuer LG wurde Daniel Loper aus Tennessee geholt. Der war dort zwar kein Starter, aber Schwartz kennt ihn sicher gut genug, um zu wissen, ob er den Lions weiterhilft.

Surger: Wenn du schon dabei bist, die Welt rosa zu malen, fallen dir bestimmt auch ein paar nette Worte über die Running Backs ein, oder?

Silver: Klar, Kevin Smith hatte ich ja bereits als einen der Lichtblicke des letzten Jahres erwähnt. Der Rookie erlief allein in der zweiten Saisonhälfte über 900 Yards und das, obwohl die Lions das Laufspiel oft sehr stiefmütterlich behandelten. Er ist ein vielseitiger Back, der auch fangen kann und selten den Ball verliert. Als Ergänzung wurde mit Maurice Morris ein erfahrener Backup geholt und Sechstrundenpick Aaron Brown überzeugt bisher vor allem durch seine Schnelligkeit.

Surger: O.K., Smith hat sich ganz ordentlich geschlagen, aber vergiss nicht, dass auch mit ihm als Starter kein Spiel gewonnen wurde und dass wahrscheinlich ein Haufen seiner Yards nur deshalb zustande kam, weil die Gegner oft nach zwei oder drei Vierteln anfangen konnten, sich zu schonen. Morris ist ein ordentlicher Backup, aber kein 3-Down-Back. Das heißt, wenn Smith sich verletzt oder eben doch nicht mit dem neuen Blocking-Scheme zurecht kommt, haben die Lions neben ihren vielen anderen Problemen ein weiteres.

Silver: Du musst aber auch wirklich alles negativ sehen. Darf ich deine Aufmerksamkeit mal auf unsere Receiver lenken - gegen die kannst du doch nun wirklich nichts sagen, oder?

Surger: Kann ich nicht? Klar kann ich! Calvin Johnson ist ein Riesentalent...

Silver: Na also!

Surger: ...aber als Alleinunterhalter kann auch er nicht viel ausrichten. Er bräuchte ein, zwei fähige Partner, die auch mal die Aufmerksamkeit der Coverage auf sich lenken, so dass er nicht immer zwei- oder gar dreifach gedeckt ist. Bryant Johnson und Derrick Northcutt sind Underperformer, die sich in ihren früheren Teams nie wirklich durchgesetzt haben. Hinter ihnen sieht es noch dünner aus, da sticht höchstens noch Drittrundenpick Derrick Williams ins Auge. Als Rookie wird er keine Bäume ausreißen, aber im Wettbewerb gegen Northcutt um die Slot wird er sich vielleicht sogar durchsetzen - was weniger für ihn als vielmehr gegen Northcutt spräche. Tigt End Casey Fitzsimmons ist nicht gerade der Typ, der den Gegnern Angstschweiß auf die Stirn treibt und Brandon Pettigrew wird zwar heftigst gehypt, aber wir wollen doch nicht vergessen, dass er in erster Linie ein blocking TE ist, der nebenbei auch ordentlich fangen kann und nicht umgekehrt.

Silver: Fast hättest du mich zum Zweifeln gebracht, aber ich lasse mir meinen Optimismus nicht nehmen, dass das Receiver-Corps eine Stärke der Lions ist. Über Calvin brauchen wir nicht mehr zu reden. Bryant Johnson ist zwar den Erwartungen an einen Erstrundenpick nie gerecht geworden, aber als #2 hinter unserem Top-Star ist er mehr als brauchbar. Und mit Nortcutt, Williams, Fitzsimmons und Pettigrew haben wir eine Menge Optionen an fangsicheren Leuten für die kurzen Pässe.

Surger: Denk von mir aus über die Offense, was du willst, in jedem Fall ist und bleibt unsere Defense die schlechteste der Liga. Das fängt schon an mit der D-Line: Wir haben überhaupt nicht das Personal für die Vorstellungen von Schwartz und Cunningham. Rod Marinelli war letztes Jahr noch stolz, dass keiner seiner D-Liner über 300 Pfund wog. Seine Nachfolger wünschen sich mehr Masse für die Tackle-Positionen, aber gefunden haben sie nur 345-Pfund-Oldie Grady Jackson und 329-Pfund-Rookie Samie Hill. Der eine hat seine besten Zeiten hinter sich, der andere muss für seine noch viel lernen. DEs Dewayne White und Jared DeVries sind das, was man im Allgemeinen solide nennt - zu wenig, um den aggressiven Passrush, den DC Cunningham sich wünscht, schultern zu können. Das kann vielleicht noch am ehesten Cliff Avril, der aber noch reichlich unreif ist.

Silver: Unreif hin oder her, Avril ist schnell, wendig und vielseitig - er kann auf diversen Position spielen und von überall den QB unter Druck setzen. Je mehr er das tut, umso mehr ermöglicht er auch White, sich zu entfalten. Bei den Tackles darfst du nicht gleich alle, die wir schon letztes Jahr hatten, abschreiben. Landon Cohen und Chuck Darby sind zwar ein bisschen leichter, aber beide haben starke Arme und wenn Cunningham sie mit Jackson und Hill rotiert, kann unsere D-Line eine flexible und dadurch schwer auszurechnende Einheit werden.

Surger: Naja, man kann sich natürlich alles schönreden. So wie ich dich kenne, wahrscheinlich sogar die Linebacker der Lions.

Silver: Ob die schön sind, ist mir wurscht, auf jeden Fall sind sie eine starke Truppe. WLB Ernie Sims hat endlich zwei würdige Nebenleute bekommen: SLB Julian Peterson ist die wohl spektakulärste FA-Verpflichtung der Lions in diesem Jahr und mit Larry Foote steht auf der jahrelangen Problemposition endlich ein ordentlicher MLB zur Verfügung. Für die nötige Tiefe sorgen zwei Youngster: Zweitjahresspieler Jordon Dizon ist froh, nicht mehr in der ungewohnten und ungeliebten Mittelposition experimentieren zu müssen, während Rookie DeAndre Levy sich für eben jene als Alternative aufdrängen möchte.

Surger: Verlass dich nicht zu sehr auf große Namen - Peterson und Sims haben beide ein eher schlechtes Jahr hinter sich und man muss abwarten, ob sie wieder zu alter Form finden. Larry Foote war zuletzt kein Starter und muss sich zudem von Pittsburghs 3-4-Defense auf die 4-3 umgewöhnen. Dizon und Levy haben bisher noch kaum etwas geleistet, auf die würde ich mich nicht zu sehr verlassen. Genauso wenig wie übrigens auf unsere Defensive Backs. Schon letztes Jahr waren sie unter aller Kanone - sie intercepteten in der ganzen Saison nur einen einzigen Pass und Leigh Bodden, der ihn gefangen hat, wurde hinterher gecuttet. Drei von vier Starterposten werden nun vermutlich mit Neuzugängen besetzt, darunter die beiden CB-Stellen an Anthony Henry und entweder Philipp Buchanon oder Eric King sowie der FS-Job an Rookie Louis Delmas. Nach so einem großen Umbruch ist nicht mehr zu erwarten als ein uneingespielter Hühnerhaufen.

Silver: Abwarten, zum Einspielen haben sie ja durchaus noch etwas Zeit. Wichtig ist, dass der dringend überfällige Umbruch in diesem Mannschaftsteil nun konsequent angegangen wurde und im Vergleich mit dem letzten Jahr kann es eigentlich nur besser werden. Vor allem Henry und Delmas haben nach allem, was man hört, ein sehr starkes Camp hinter sich und werden auf ihren jeweiligen Positionen Upgrades sein. Alles in allem hat die Defense ein völlig neues Gesicht bekommen und das stimmt mich hoffnungsvoll.

Surger: Ja, hoffnungsvoll bist du jedes Jahr und bisher wurdest du immer enttäuscht. Werfen wir abschließend noch einen Blick auf die Special Teams, dann haben wir das Elend hinter uns.

Silver: Was heißt da Elend? Gerade unsere Special Teams sind doch einer der stärkeren Bereiche des Teams. Punter Nick Harris und Longsnapper Don Muhlbach sind sehr zuverlässig und Jason Hanson ist einer der besten Kicker der Liga.

Surger: Gegen Jason Hanson fällt noch nicht mal mir etwas ein - außer dass es nicht mehr lange dauern kann, bis sich sein Alter bemerkbar macht und dass ich mich frage, wie man einem 39-Jährigen einen Vierjahresvertrag geben kann. Das Problem unserer Special Teams ist aber ein anderes, nämlich das Return Game. Hier herrscht seit ein paar Jahren Ebbe und soweit ich sehen kann, wurde in der Offseason nicht wirklich Abhilfe geschaffen.

Silver: Ich denke, wir können an dieser Stelle ein Fazit ziehen. In meinen Augen haben die Lions sehr gute Offseason-Arbeit geleistet, indem sie gute Coaches verpflichtet und sich sinnvoll mit Spielern verstärkt haben, während die wenigen guten Leute wie Johnson, Smith, Hanson und Sims gehalten wurden. Die Lions werden im Jahr 1 nach dem erneuten großen Umbruch keine Wundertaten vollbringen, aber 6 bis 7 Siege sind im Rahmen der mittelschweren Schedule ein realistisches Ziel und mit etwas Glück kann es zu einer ausgeglichenen Bilanz reichen.

Surger: Deinen unverbesserlichen Optimismus kann ich naturgemäß nicht teilen. Wir haben ein 0-16-Team, das ergänzt wurde mir unerfahrenen oder anderswo aussortierten Spielern und von einem HC-Neuling gecoacht wird. Ich sehe beim besten Willen nicht, wie dieses Jahr mehr als 3 Siege herausspringen sollen.

Silver: Ich darf mich abschließend bedanken bei meinem missmutigen Gesprächspartner und bei unseren geduldigen Lesern. Mir hat's jedenfalls großen Spaß gemacht und dir doch auch, oder? Gib's zu, alter Griesgram!

Surger: Naja, O.K. - ein bisschen schon.

Zitat von Marge

(... weil mich ein paar Spieler brennend interessieren)

Welche denn?