Sonntagsfrage Spezial zur Bundestagswahl 2013


  • Im Beispiel ist es die FDP, aber natürlich findet sich dieser Fall auch in beliebiger Häufigkeit bei Union, SPD und Grünen.

    Und mach Dir nichts vor, er wird sich auch bei Linken, Piraten oder sonstigen Parteien finden sollten sie es denn in den Bundestag schaffen.

    When I die and go to hell, hell will be a Brett Favre
    game, announced by the ESPN Sunday night crew,
    for all eternity. Paul Zimmerman

  • Und mach Dir nichts vor, er wird sich auch bei Linken, Piraten oder sonstigen Parteiene finden sollten sie es denn in den Bundestag schaffen.

    Wenn und sofern sie sich auf Koalitionen einlassen: ja, sicher. Ich kann nur hoffen und darauf hinwirken, dass die Piraten weiterhin das Ideal der sachorientiert wechselnden Mehrheiten hochhalten und Koalitionen im herkömmlichen Sinne gar nicht erst eingehen.

  • Im Zuge dieser Diskussion stellt sich mir mehr und mehr die Frage, warum wir denn eigentlich bei der Wahl mit unserer Erststimme eine bestimmte Person für einen Sitz im Bundestag wählen.
    Wenn die Person so oder so, gerechtfertigt durch Dereks Beitrag, der Linie der Fraktion entsprechend abstimmt, ist es doch eigentlich fast egal, welcher Hinz und Kunz da nun für welche Partei hockt.
    Mit welcher Berechtigung gibt es denn dann eigentlich noch dieses Gremium "Bundestag", wenn man ihn auch einfach durch mehrere Ausschüsse ersetzen kann, in denen die Sachthemen in kleinen Gruppen diskutiert werden.
    Die Abstimmungen im Bundestag werden dann ersetzt durch eine Stimme der Fraktion mit der jeweiligen Wertigkeit.

  • Das Problem der Parteidisziplin im Parlament kommt letztlich aus der Sphäre des Bürgers. Der Bürger wünsch nunmal eher Ordnung und Effektivität statt einer Dartstllung der wirklichen Mehrheitsverhältnisse. Ich finde die Entwicklung auch Schade, da Parlamentsdebatten selten spannend sind und die Ergebnisse meist feststehen.
    Ich wäre ein großer Fan einer Minderheitenregierung, gerade weil die Regierung dann stärker für ihre Ergebnisse werben müsste und der einzelne Abgeordnete ein höheres Gewicht erhielte. Allerdings glaube auch ich als Piratensympathisant nicht, dass Deutschland zu solchen Experimenten bereit ist.
    Im derzeitigen Koalitionssystem ist ein Fraktionszwang zumindestens für die Regierungsfraktionen unabdingbar, da sonst keine Absprachen getroffen werden könnten. Das ist sicher gut für die langfristige Stabilität des Systems und auch für die Effizienz des Regierens aber nicht gut für die Demokratie, da letztlich nicht klar wird, wie deutlich eine Mehrheit in einer Sachfrage wirklich ist und wie viele Abgeordnete ihr Gewissen beiseite legen.

    In den Angloamerikanischen Systemen ist die BEdeutung des einzelnenn Parlamentariers zwar höher, dafür ist aber auch die Möglichkeit der Einflussnahme durch Minderheiten weit geringer. Ein Mehrheitssystem unterdrückt Mindermeinungen solange, bis sie zur Mehrheit werden. Unser parlamentarisches System mag langweilig sein aber es besteht immer die Möglichkeit, dass ein Thema 10 % der Volkes so erregt, dass neue Parteien entstehen.

    Ich finde wir könnten uns durchaus trauen etwas mehr Transparenz zu wagen, indem man Beispielsweise die Sperrklausel moderat absenkt. Dies würde wohl über kurz oder lang auch zu Minderheitsregierungen führen.
    Solange aber die Mehrheit der Deutschen die Stabilität mehr schätzt als die offene Konfrontation wird sich der deutsche Parlamentarismus nicht grundlegend wandeln und die wirklichen Entscheidungen fallen eher in den Fraktionen als im Plenum. Die Ausschussarbeit finde ich allerdings auch wichtig. Bei der Komplexität des modernen Lebens müssen Fachpolitiker existieren, die in ihrem Fach Experten sind und dort maßgeblich die Gesetzesvorlagen ausarbeiten. Allerdings wäre es schön, wenn diese Fachpolitiker stärker gezwungen wären, ihre Ergebniss im Plenum zu begründen.

  • Im Zuge dieser Diskussion stellt sich mir mehr und mehr die Frage, warum wir denn eigentlich bei der Wahl mit unserer Erststimme eine bestimmte Person für einen Sitz im Bundestag wählen.
    Wenn die Person so oder so, gerechtfertigt durch Dereks Beitrag, der Linie der Fraktion entsprechend abstimmt, ist es doch eigentlich fast egal, welcher Hinz und Kunz da nun für welche Partei hockt.
    Mit welcher Berechtigung gibt es denn dann eigentlich noch dieses Gremium "Bundestag", wenn man ihn auch einfach durch mehrere Ausschüsse ersetzen kann, in denen die Sachthemen in kleinen Gruppen diskutiert werden.
    Die Abstimmungen im Bundestag werden dann ersetzt durch eine Stimme der Fraktion mit der jeweiligen Wertigkeit.

    Die Bedeutung der Existenz des Gremiums Bundestages liegt vor allem in der Absicherung der Entscheidungen der Ausschüsse. Ein Ausschuss ist eine kleine Gruppe von Menschen, die schnell korrumpiert werden kann. Das große Plenum schützt insofern, als dass es sich einschalten würde, wenn die Ausschüsse vollkommen Amok laufen.
    Außerdem haben ja alle Parlamentarier die Möglichkeit in der Fraktion Einfluss zu nehmen. Und soweit man es mitbekommt wird dort mit anderen Bandagen gestritten als im Plenum. Nur leider ist dieser Streit nicht öffentlich. Jeder einzelne Parlamentarier ist schon noch an der Entscheidungsfindung beteiligt.
    Die Erststimme ist allerdings meiner Meinung nach ein gescheiterte Versuch. Es sollte erreicht werden, dass auch unabhängige Personen eine Chance auf ein Mandat haben. So wählt der Wähler aber nicht und es treten kaum einmal chancenreiche unabhängige an. Die Erststimme ist meiner Meinung nach nur sinnvoll, wenn die allgemeine politische Bildung des Wahlvolks höher wäre. Es wählen aber immernoch mindestens 20 % der Wähler stumpf über Jahrzehnte eine Partei. Man kennt doch seine Wahlkreiskandidaten selbst als politisch interessierten nicht wirklich sondern nur von Plakaten.
    Kurz um: Die Erststimme wird nur noch aus Tradition beibehalten und hat keinerlei wirkliche Bedeutung. Die Wahlrechtsreform hat deshalb richtigerweise auch Überhangmandate bedeutungslos gemacht, sodass sie kein ernsthaftes Ärgernis mehr darstellt.

  • Die Erststimme ist allerdings meiner Meinung nach ein gescheiterte Versuch. Es sollte erreicht werden, dass auch unabhängige Personen eine Chance auf ein Mandat haben.

    Dachte immer die ist dafür da das jede Region im Bundestag vertreten ist. Klar evt. auch eine unabhängige Person. Aber wenn es jetzt nur noch Zweitstimme mit Listen gäbe, hätte meine ländliche Region ja gar keine Chance.

    Gruß isten

    SB50 Champion Anderson Barrett Brenner Brewer Bush Caldwell Colquitt Daniels T.Davis V.Davis Doss Ferentz Fowler Garcia Green C.Harris R.Harris Hillman Jackson Keo Kilgo Latimer Manning Marshall Mathis McCray McManus Miller Myers Nelson Nixon Norwood Osweiler Paradis Polumbus Ray Roby Sanders Schofield Siemian Smith Stewart Talib Thomas Thompson Trevathan Vasquez Walker Ward Ware Webster S.Williams Wolfe Anunike Bolden Bruton Clady Heuerman Sambrailo K.Williams

  • Dachte immer die ist dafür da das jede Region im Bundestag vertreten ist.

    Ja, das ist auch für mich der Sinn, den ich im personalisierten Teil unseres Wahlsystems sehe. Man hat für jeden Wahlkreis jemanden, der neben seiner jeweiligen fachpolitischen Ausrichtung für diesen "zuständig" ist, sich über regional relevante Themen auf dem Laufenden hält und sich regelmäßig blicken lässt. Das ist schon O.K. so. Nur daran, wie diese Person bestimmt wird, würde ich ein bisschen herumdoktern, aber das ist eine andere Baustelle.

  • Ja, das ist auch für mich der Sinn, den ich im personalisierten Teil unseres Wahlsystems sehe. Man hat für jeden Wahlkreis jemanden, der neben seiner jeweiligen fachpolitischen Ausrichtung für diesen "zuständig" ist, sich über regional relevante Themen auf dem Laufenden hält und sich regelmäßig blicken lässt. Das ist schon O.K. so. Nur daran, wie diese Person bestimmt wird, würde ich ein bisschen herumdoktern, aber das ist eine andere Baustelle.


    Wie wäre es mit einer Jugend-Quote. 30% aller Parlamentarier unter 30 bei Beginn der Legislaturperiode. Ich glaube,die trauen sich mehr als die Alteingesessenen.:paelzer:


  • Kritisiert wird vielmehr, dass in der Regel weder im Bundestag noch in seinen Gremien ergebnisoffen diskutiert und abgestimmt wird, sondern dass die Ergebnisse per Koalitionsverträgen und -absprachen vorweggenommen werden, nachdem sie gemeinsam mit völlig sachfremden anderen Themen (und obendrein noch Personalien) ein Geschacher durchlaufen haben, und dann per Fraktionszwang durchgedrückt werden. So soll es nicht sein, denn dass Abgeordnete allein ihrem Gewissen unterworfen sind, ist grundgesetzlich verbrieft. Ob du das romantisch oder zeitgemäß findest, ist nicht wirklich relevant – Fakt ist, dass Geist und Wort unserer Verfassung im Parlamentsalltag gewohnheitsmäßig mit Füßen getreten werden.

    Es geht nicht darum, ob ich das zeitgemäß finde, sondern darum, ob es zeitgemäß ist. Wenn es nicht zeitgemäß ist, ist der Verweis "Es steht aber im Gesetz!" zwar richtig, aber letztlich nur legalistisch und damit wenig überzeugend. In deutschen Gesetzen stand schon viel Unsinn und vieles, was im Lauf der Zeit obsolet wurde.

    Man muss sich doch mal anschauen, wann das geschrieben wurde - vor über 60 Jahren. Und wie modern die Ansichten schon damals waren, mag die zeitgenössische Karikatur hier andeuten:

    Antiquierte Typen verkünden Weisheiten aus dem 18. Jahrhundert.
    Weil eine abgehobene Elite, die das Volk für dumm und potenziell gefährlich hielt (daher auch die geringe Bedeutung von Volksabstimmungen), Regelungen einführte, um den Einfluss des Volkes niedrig zu halten, sollen wir uns heute sklavisch daran halten? Diesen Geist mit Füßen zu treten, halte ich ehrlich gesagt für einen zivilisatorischen Fortschritt und einen Segen der 68er-Revolte.

    Natürlich schränken die Parteien die Rolle, die Abgeordnete spielen, ein. Deswegen gab es auch schon früh den Versuch, Parteien komplett zu verbieten. Das Problem ist nur, dass es die Abgeordneten waren, die Parteien wollten, weil sie ihnen "Vorteile" brachten, die du möglicherweise als Nachteile siehst. Deswegen ist die Vorstellung, man könne den Kalender wieder auf 1750 stellen, für mich so wenig überzeugend: Die Vorteile bestehen heute noch wie damals. Die von dir beklagte Verknüpfung von sachfremden Inhalten, ginge doch nicht weg. Die Parteien drücken nämlich grundlegende Interessen der Abgeordneten und Wähler aus.

    "Ergebnisoffene Diskussionen", klingt erstmal super, nur hat die Sache einen gewaltigen Haken. Der Kandidat bzw. die Partei wird gewählt, um konkrete Ziele durchzusetzen. Das mag erneut nicht den Buchstaben des GGs entsprechen, ist aber Realität. Wenn Abgeordnete anfangen, sich - weil ergebnisoffen - noch weniger an eigene Wahlversprechen zu halten und dabei den Wählerwillen ignorieren, dann spiegelt das eben nicht Volkes Wille wieder, auch wenn es verfassungsrechtlich so ist. Dass das die Zufriedenheit mit dem System fördert, wage ich arg zu bezweifeln.

    "I guess football has always been a barometer of the times: the takeover of Manchester United was a perfect manifestation of the unacceptable face of modern capitalism." - Jarvis Cocker.

    Einmal editiert, zuletzt von Derek Brown (17. September 2013 um 16:49)

  • Niemand hat gesagt, man wolle Parteien abschaffen oder gleich das ganze System auf 1750 zurückdrehen, daher fehlt mir ein wenig das Verständnis für Deine Argumentation. Es ist für mich ziemlich offensichtlich, dass unser System des Arbeitsparlaments, bei dem in plenumfernen Ausschüssen der Bär erlegt und sein Fell verteilt wird, und das sich gefühlt zunehmend im negativen Sinne dynamisiert, nicht nur Vorteile hat (um es mal vorsichtig zu formulieren). Wenn Du dann das hier schreibst...

    Zitat

    Weil eine abgehobene Elite, die das Volk für dumm und potenziell gefährlich hielt (daher auch die geringe Bedeutung von Volksabstimmungen), Regelungen einführte, um den Einfluss des Volkes niedrig zu halten, sollen wir uns heute sklavisch daran halten?

    ...so klingt das in meinen Augen wie ein perfektes Argument gegen das Ausschuss-Regieren (Pun intended!) das wir derzeit beobachten können. In diesem Falle handelt es sich bei den "abgehobenen Eliten" allerdings um die lobbyverseuchten Ausschussalphatiere und Leithammel, die sich ihre Beschlüsse zusammenkungeln und -schachern. Und perverser Weise beginnt das Abgehobensein hier schon innerhalb der Abgeordneten-Kaste selbst: hier, die Ausschussvorsitzenden und Tonangeber, die mit Blick auf eine im Weiteren steile Karriere in der Partei agieren; dort, die Bankwärmer, Jubelperser und Tetrisspieler, die es nicht ganz so hektisch mögen und mehr für das notwendige Stimmgewicht in den Ausschüssen sorgen. Nun, wie mein nicht ganz Ernst gemeinter Einwand von weiter oben im Hinblick auf die Endlager so schön dokumentiert, gibt's diese Verkastung innerhalb der Abgeordneten ja vielleicht sogar gar nicht zu Unrecht. Bei einigen könnten man zynischer Weise der Meinung sein, es grenze an ein Wunder, wenn sie am Tag der Abstimmung unfallfrei ihren Sitz im Bundestag erreichen. Will man sie da wirklich bei einschneidenden Entscheidungen am Buzzer dabei haben?

    Zitat

    Wenn Abgeordnete anfangen, sich - weil ergebnisoffen - noch weniger an eigene Wahlversprechen zu halten und dabei den Wählerwillen ignorieren, dann spiegelt das eben nicht Volkes Wille wieder, auch wenn es verfassungsrechtlich so ist. Dass das die Zufriedenheit mit dem System fördert, wage ich arg zu bezweifeln.

    Na ja, der derzeitige Weg ruft auch nicht gerade Begeisterungsstürme hervor. Warum also nicht mal - ergebnisoffen - über möglich und/oder nötige Modifikationen des Systems diskutieren? Und da ist ein Mehr basisdemokratischer Ansatz durchaus eine Option.

    "Players don't know how lucky they are, I think, to be in a place like Philly. I would've - if I could've kept playing a long time there, I would've played 'til the wheels fell off." - Chris Long

  • Niemand wird hier bestreiten, dass das System Probleme hat und sagen, dass man da nichts dran ändern sollte. Die Frage ist, ob die Verbesserungsvorschläge, die nun doch eher rückwärts gewandt sind, eine Verbesserung sind.

    Wenn man mehr Basisdemokratie will - warum nicht? Nur ist das nun eben überhaupt nicht mit dem im GG verankerten Bild des ungebundenen Abgeordneten zu verbinden, der nun gerade nicht auf die Basis hören soll, weil man dem Mob nicht trauen kann. Ich finde den einfachen Verweis auf das, was im GG steht, da nicht produktiv.

    Dass sich in den Parteien mächtige Einflussgruppen bilden, ist ohne Zweifel völlig richtig. Es ist die Herrschaft Weniger: eine Oligarchie. Das wurde schon vor 100 Jahren bei der SPD festgestellt. Daran sollte man unbedingt arbeiten, aber die Antwort scheint mir falsch zu sein.

    "I guess football has always been a barometer of the times: the takeover of Manchester United was a perfect manifestation of the unacceptable face of modern capitalism." - Jarvis Cocker.

  • Dachte immer die ist dafür da das jede Region im Bundestag vertreten ist. Klar evt. auch eine unabhängige Person. Aber wenn es jetzt nur noch Zweitstimme mit Listen gäbe, hätte meine ländliche Region ja gar keine Chance.

    Gruß isten

    Auch dieser Sinn wäre nicht wirklich gewahrt. Die Parteiprominenz tritt jedenfalls dort an, wo sie gebraucht wird. Und Regionalisierung wird auch über die Landesliste gewährleistet. Dafür würden die Rangeleien in der Partei schon sorgen.
    Aber vielleicht denke ich auch als Großstädter nict genug in regionalen Strukturen. Vielleicht sehe ich den Mehrwert der Erststimme daher nicht. Aus meiner Perspektive ist sie unnötig, weil ich weder die Kandidaten persönlich kennen, noch mein Kreuzchen bei SPD und CDU mache und alle anderen Erststimmen sind eh für die Tonne.

  • Es geht nicht darum, ob ich das zeitgemäß finde, sondern darum, ob es zeitgemäß ist. Wenn es nicht zeitgemäß ist, ist der Verweis "Es steht aber im Gesetz!" zwar richtig, aber letztlich nur legalistisch und damit wenig überzeugend. In deutschen Gesetzen stand schon viel Unsinn und vieles, was im Lauf der Zeit obsolet wurde.

    Man muss sich doch mal anschauen, wann das geschrieben wurde - vor über 60 Jahren. Und wie modern die Ansichten schon damals waren, mag die zeitgenössische Karikatur hier andeuten:

    Antiquierte Typen verkünden Weisheiten aus dem 18. Jahrhundert.
    Weil eine abgehobene Elite, die das Volk für dumm und potenziell gefährlich hielt (daher auch die geringe Bedeutung von Volksabstimmungen), Regelungen einführte, um den Einfluss des Volkes niedrig zu halten, sollen wir uns heute sklavisch daran halten? Diesen Geist mit Füßen zu treten, halte ich ehrlich gesagt für einen zivilisatorischen Fortschritt und einen Segen der 68er-Revolte.

    Natürlich schränken die Parteien die Rolle, die Abgeordnete spielen, ein. Deswegen gab es auch schon früh den Versuch, Parteien komplett zu verbieten. Das Problem ist nur, dass es die Abgeordneten waren, die Parteien wollten, weil sie ihnen "Vorteile" brachten, die du möglicherweise als Nachteile siehst. Deswegen ist die Vorstellung, man könne den Kalender wieder auf 1750 stellen, für mich so wenig überzeugend: Die Vorteile bestehen heute noch wie damals. Die von dir beklagte Verknüpfung von sachfremden Inhalten, ginge doch nicht weg. Die Parteien drücken nämlich grundlegende Interessen der Abgeordneten und Wähler aus.

    "Ergebnisoffene Diskussionen", klingt erstmal super, nur hat die Sache einen gewaltigen Haken. Der Kandidat bzw. die Partei wird gewählt, um konkrete Ziele durchzusetzen. Das mag erneut nicht den Buchstaben des GGs entsprechen, ist aber Realität. Wenn Abgeordnete anfangen, sich - weil ergebnisoffen - noch weniger an eigene Wahlversprechen zu halten und dabei den Wählerwillen ignorieren, dann spiegelt das eben nicht Volkes Wille wieder, auch wenn es verfassungsrechtlich so ist. Dass das die Zufriedenheit mit dem System fördert, wage ich arg zu bezweifeln.

    Den Wählerwillen ignorieren aber auch die Fraktionen konsequent. Die Mehrwertsteuererhöhung der großen Koalition wurde dezidiert nicht gewählt. Auch die Agenda 2010 wurde nicht durch einen Wahlkampf vorbereitet, der jedenfalls die Richtung vorgab. Letztlich laufen zwar die Mechanismen in einer Parteiendemokratie anders, ich würde aber nicht sagen, dass sich Parteien stärker an ihre Versprochungen gebunden fühlen als einzelne Abgeordnete. Somit wird auch im jetzigen System vom freien Mandat gebrauch gemacht, denn der wirkliche Souverän kann weder einzelne Abgeordnete noch die Regierung zurückpfeiffen, wenn sie gegen vorher versprochenes oder gegen eindeutigen Wählerwillen verstößt.
    Das Hauptargument für die Bedeutung der Parteien ist, dass Strukturen geschaffen werden, die Stabilität bringen und das Quärolanten aussortiert werden eher sie den Bundestag erreichen.
    Manchmal würde ich aber den Ein oder Anderen Quarälanten mehr gerne im Parlament sehen. Das würde der politische Kultur gut tun.

  • "Ergebnisoffene Diskussionen", klingt erstmal super, nur hat die Sache einen gewaltigen Haken. Der Kandidat bzw. die Partei wird gewählt, um konkrete Ziele durchzusetzen. Das mag erneut nicht den Buchstaben des GGs entsprechen, ist aber Realität. Wenn Abgeordnete anfangen, sich - weil ergebnisoffen - noch weniger an eigene Wahlversprechen zu halten und dabei den Wählerwillen ignorieren, dann spiegelt das eben nicht Volkes Wille wieder, auch wenn es verfassungsrechtlich so ist. Dass das die Zufriedenheit mit dem System fördert, wage ich arg zu bezweifeln.

    Du willst mich falsch verstehen, oder? Es ist doch eigentlich ganz einfach: Wenn vor der Wahl konkrete Positionen eingenommen werden, so sollen diese auch nach der Wahl gelten und nicht in der Abstimmung plötzlich die gegenteilige Position eingenommen werden aus Rücksicht auf den Koalitionspartner. Zu Themen, die vor der Wahl nicht eindeutig geklärt wurden, weil sie zu neu, zu komplex oder intern umstritten sind, dann möchte ich, dass sowohl die Diskussion als auch die Abstimmung ergebnisoffen geführt werden.

  • Ich verstehe schon, was du meinst, nur scheint es mir, dass du in deiner Argumentation nicht besonders konsequent bist. Wenn ich mit der Realität der Politik argumentiere sagst du, dass da der Geist des GGs nicht ernst genommen wird. Argumentiere ich mit dem Geist des GGs, hast du andere Vorstellungen, denn der Abgeordnete ist da nun mal nur seinem Gewissen, nicht dem Wahlprogramm unterworfen. Der Chief hat daher ja auch ein schönes Bild gemalt: Alle treffen sich im Bundestag und diskutieren ergebnisoffen. Was soll's also sein?

    Ich finde, dass deine Beschreibung falsch ist. Bei Abstimmungen stimmen Parteien doch nicht aus Rücksicht auf ihren Koalitionspartner ab. Die sind doch nicht bei der Heilsarmee. Die stimmen aus Rücksicht auf ihre eigenen Interessen und Wähler ab. Wenn die FDP zum Beispiel für das Betreuungsgeld stimmt, obwohl sie inhaltlich nicht dahinter steht, dann macht sie das nicht aus Mitleid mit der CSU, sondern weil sie an anderer Stelle etwas dafür bekommt. Etwas, dass ihr - und damit ihren Wählern - wichtiger ist, als das Betreuungsgeld. Eine einleuchtende Logik, die wohl jeder von uns im Alltag auch anwendet.

    In deiner Logik sollte die FDP das nicht tun und im Zweifel darauf verzichten, ein ihr bzw. ihren Wählern wichtiges Ziel zu erreichen, um dann am Ende möglicherweise gar nichts durchzusetzen. Dann kann man sich zwar gemessen an deinen Vorgaben gut fühlen, erreicht hat man aber nichts. Ich bezweifle sehr, dass das im Interesse der Wähler der FDP ist.

    Das ist doch der Grund, warum schon in den Parteien selbst genau diese Art von Kompromissen geschlossen werden. Diese Logik ginge eben auch ohne Fraktionszwang nicht weg, wie ein Blick nach Amerika zeigt. Ich bin da ganz ehrlich: Ich bedauere nicht, dass Parteien das so machen. Ich als Wähler will sogar, dass die das so machen. Mein Lieblingsspatz in der Hand ist mir wichtiger, als wenig interessante Tauben auf den Dächern.

    "I guess football has always been a barometer of the times: the takeover of Manchester United was a perfect manifestation of the unacceptable face of modern capitalism." - Jarvis Cocker.

    2 Mal editiert, zuletzt von Derek Brown (18. September 2013 um 05:08)

  • Ich finde, dass deine Beschreibung falsch ist. Bei Abstimmungen stimmen Parteien doch nicht aus Rücksicht auf ihren Koalitionspartner ab. Die sind doch nicht bei der Heilsarmee. Die stimmen aus Rücksicht auf ihre eigenen Interessen und Wähler ab. Wenn die FDP zum Beispiel für das Betreuungsgeld stimmt, obwohl sie inhaltlich nicht dahinter steht, dann macht sie das nicht aus Mitleid mit der CSU, sondern weil sie an anderer Stelle etwas dafür bekommt. Etwas, dass ihr - und damit ihren Wählern - wichtiger ist, als das Betreuungsgeld. Eine einleuchtende Logik, die wohl jeder von uns im Alltag auch anwendet.

    In deiner Logik sollte die FDP das nicht tun und im Zweifel darauf verzichten, ein ihr bzw. ihren Wählern wichtiges Ziel zu erreichen, um dann am Ende möglicherweise gar nichts durchzusetzen. Dann kann man sich zwar gemessen an deinen Vorgaben gut fühlen, erreicht hat man aber nichts. Ich bezweifle sehr, dass das im Interesse der Wähler der FDP ist.

    "Aus Rücksicht auf den Koalitionspartner" heißt nicht, dass etwas aus Mitleid passiert, sondern natürlich, dass man im Gegenzug etwas erwartet. Ich versuche noch mal, mein Problem bei der Sache deutlich zu machen: Da gibt es drei Parteien, jede von ihnen vertritt in einer bestimmten Sachfrage eine Position, mit der sie allein auf weiter Flur steht. Keine dieser Positionen ist mehrheitsfähig, weder im Volk noch im Parlament. Logischerweise müssten alle drei Positionen bei einer Abstimmung im Bundestag durchfallen. Stattdessen stecken die drei Parteien ihre Köpfe zusammen und klüngeln aus, dass sie gemeinsam für alle drei Positionen stimmen werden. Dreimal wird im Bundestag abgestimmt, dreimal wird etwas beschlossen, das eine klare Mehrheit sowohl der Wähler als auch der Abgeordneten nicht für sinnvoll hält. Das ist doch absurd! Dass dreimal Schwachsinn beschlossen wird, ist nicht im Interesse des Wählers. Was nützt mir mein Lieblingsspatz in der Hand, wenn mir gleichzeitig zwei hässliche Geier auf den Kopf scheißen?

    Einmal editiert, zuletzt von Silversurger (18. September 2013 um 10:11)

  • Dieses Thema hätte vielleicht einen eigenen Thread verdient?!

    So langsam wird die Wahl spannend. Nach den letzten Umfragen dürften die Piraten kaum noch Chancen haben. Für die FDP könnte es dank einiger Unions-Leihstimmen reichen, aber es wird knapp. Und auch die AfD liegt wohl bei 4 % und hat durchaus Chancen, zumal sich wohl nicht jeder AfD-Wähler zu erkennen gibt und sie vielleicht am Wahltag noch ein paar Protestwähler einsacken kann.

    Je nachdem, ob FDP und/oder AfD die 5 % Hürde schaffen oder nicht, könnten sich ganz unterschiedliche Mehrheitsverhältnisse ergeben.

  • Für die FDP könnte es dank einiger Unions-Leihstimmen reichen, aber es wird knapp.

    Die kriegen mindestens 8%, darauf würde ich wetten. Das Bayernergebnis war der Todesstoß für jede Hoffnung, die FDP aus dem Bundestag loszuwerden.

  • Die kriegen mindestens 8%, darauf würde ich wetten. Das Bayernergebnis war der Todesstoß für jede Hoffnung, die FDP aus dem Bundestag loszuwerden.

    So sieht's leider aus.

    Ich denke am Ende wird entscheidend sein ob die afd reinkommt. Das halte ich auf jeden fall für möglich.

  • Die kriegen mindestens 8%, darauf würde ich wetten. Das Bayernergebnis war der Todesstoß für jede Hoffnung, die FDP aus dem Bundestag loszuwerden.

    Das sehe ich leider ähnlich. Andererseits könnte dadurch natürlich eine Art Niedersachsen -Effekt eintreten, sprich das der CDU dann ev. die entscheidenden Prozente fehlen werden. An Rot-Grün glaube ich zwar auch nicht, ab an Schwarz-Gelb eben auch nicht.

    Und wenn es das Dark-Horse AfD reinschafft, dann wird es sowieso ganz schräg

  • Andererseits könnte dadurch natürlich eine Art Niedersachsen -Effekt eintreten, sprich das der CDU dann ev. die entscheidenden Prozente fehlen werden.

    Das verstehe ich nicht – welche Prozente sollen ihr fehlen? Von einer absoluten Mehrheit ist sie weit entfernt, von Platz zwei ebenfalls, also sind ein paar Prozentpunkte mehr oder weniger für sie doch völlig egal. Sie wird so oder so der größere Partner in einer Koalition sein, egal ob mit FDP, SPD oder Grünen. In Niedersachsen hat es für CDU und FDP zusammen nicht gereicht, daran hätte sich auch durch eine andere Verteilung der Stimmen auf diese beiden nichts geändert.

  • In Niedersachsen hat es für CDU und FDP zusammen nicht gereicht, daran hätte sich auch durch eine andere Verteilung der Stimmen auf diese beiden nichts geändert.

    Das stimmt nicht.
    Hätten glaub ein paar Tausende mehr die 2. Stimme der FDP anstatt der CDU gegeben, dann wäre jetzt McAllister der Regierungschef.

    http://www.sueddeutsche.de/politik/wahl-i…ettet-1.1580087

    Einmal editiert, zuletzt von Bilbo (19. September 2013 um 10:06)

  • Das stimmt nicht.
    Hätten glaub ein paar Tausende mehr die 2. Stimme der FDP anstatt der CDU gegeben, dann wäre jetzt McAllister der Regierungschef.

    http://www.sueddeutsche.de/politik/wahl-i…ettet-1.1580087

    O.K., danke – so herum hatte ich mir die Sache nicht überlegt, nachdem Charger das Gegenteil behauptet hatte. Mehr Leihstimmen können tatsächlich hilfreich sein, weniger hingegen nicht, denn die FDP kommt wohl kaum in den Genuss von Überhangmandaten.

  • O.K., danke – so herum hatte ich mir die Sache nicht überlegt, nachdem Charger das Gegenteil behauptet hatte. Mehr Leihstimmen können tatsächlich hilfreich sein, weniger hingegen nicht, denn die FDP kommt wohl kaum in den Genuss von Überhangmandaten.

    Die gibt es nicht mehr. Es gibt nun Ausgleichsmandate. Dementsprechend hilft die Zweitstimmenkapagne nur noch der FDP, welche auf die Uninformiertheit der Bürger setzt.

    Einmal editiert, zuletzt von Robbes (19. September 2013 um 11:06)

  • Die gibt es nicht mehr. Es gibt nun Ausgleichsmandate. Dementsprechend hilft die Zweitstimmenkapagne nur noch der FDP, welche auf die Uninformiertheit der Bürger setzt.

    Die Überhangmandate gibt es schon noch, nur werden diese wieder mit Ausgleichsmandate (wie der Name schon sagt) wieder ausgeglichen damit es % passt. Also kann z.B. immer noch eine Partei in den Bundestag über die 1. Stimme einziehen, obwohl sie an der 5% Hürde scheitern würde.

    Gruß isten

    SB50 Champion Anderson Barrett Brenner Brewer Bush Caldwell Colquitt Daniels T.Davis V.Davis Doss Ferentz Fowler Garcia Green C.Harris R.Harris Hillman Jackson Keo Kilgo Latimer Manning Marshall Mathis McCray McManus Miller Myers Nelson Nixon Norwood Osweiler Paradis Polumbus Ray Roby Sanders Schofield Siemian Smith Stewart Talib Thomas Thompson Trevathan Vasquez Walker Ward Ware Webster S.Williams Wolfe Anunike Bolden Bruton Clady Heuerman Sambrailo K.Williams

  • Hier noch der Satz zur Wahl von Hans Sarpei :

    Liebe NPD-Wähler, nicht vergessen: Am 22. Oktober ist Bundestagswahl! :mrgreen:

    Ansonsten viel Spaß bei wählen gehen :bier: